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Studenten mit Psychosen fällt es schwer, darüber zu sprechen (zeit online)

Dieser Artikel ist auf Zeit Online erschienen:

Wer an der Uni mit seelischen Erkrankungen kämpft, schweigt oft dazu, sagt Thomas Bock. Der Psychologe fordert im Interview weniger Tabus und mehr Hilfe für Betroffene.

ZEIT ONLINE: Hat zu Ihrer Studienzeit schon jemand davon geredet, dass psychische Krankheiten unter Studenten verbreitet sind?

Thomas Bock: Nein. Obwohl ich Psychologie studiert habe, war das überhaupt kein Thema. Aber es ist auch lange her, dass ich studiert habe. Da wurden psychische Erkrankungen noch weit mehr tabuisiert als heute.

ZEIT ONLINE: Heute heißt es, dass der Anteil an Studenten mit psychischen Problemen stetig wächst.

Bock: Da muss man differenzieren. Es gibt einen bestimmten Anteil an Studenten, der psychisch erkrankt ist. Andererseits kursieren Zahlen, dass 30 bis 40 Prozent der Studenten an Burn-out leiden. Man muss vorsichtig sein, inwiefern es sich da nicht um vorübergehende Ausnahmezustände in Stressphasen handelt.

ZEIT ONLINE: Eine Umfrage hat ergeben, dass rund vier Prozent der Studenten psychische Probleme haben, durch die sie sich im Studium sehr stark beeinträchtigt fühlen.

Bock: Ich würde versuchen, das positiv zu sehen: Diese Menschen studieren trotz ihrer psychischen Probleme. Viele trauen sich hingegen nicht, ein Studium aufzunehmen, obwohl sie das Zeug dazu hätten.

ZEIT ONLINE: Helfen da nicht Betreuungs- und Beratungsstellen?

Bock: Die meisten Hilfsangebote richten sich an körperlich Behinderte. Aber auch psychisch erkrankte Studenten brauchen Unterstützung. Dafür ist es wichtig, dass alle Beteiligten an der Hochschule begreifen: Behinderung kann nicht nur das Sehen, Hören und Bewegen betreffen, sondern eben auch die Psyche.

ZEIT ONLINE: Was können Universitäten konkret tun?

Bock: Zum Beispiel Gruppen organisieren, um die Leute aus der Isolation zu holen. Außerdem haben Universitäten die Möglichkeit, Prüfungsbedingungen anzupassen oder die Studiendauer zu strecken. Vieles ist möglich, es muss nur gemacht werden.

ZEIT ONLINE: Wird es denn gemacht?

Bock: Das ist unterschiedlich. An der Universität Hamburg gibt es das Projekt „Hilfe und Orientierung für psychisch erkrankte Studierende“, kurz HOPES. Dort wurde eine Einrichtung geschaffen, an die sich Studenten und auch Dozenten wenden können.

ZEIT ONLINE: Wie sieht es an anderen Hochschulen aus?

Bock: Solche Projekte gibt es leider nicht flächendeckend. Ich denke aber, dass jede Hochschule so eine Anlaufstelle braucht. Die meisten Hochschulen haben zwar einen Behindertenbeauftragten, aber zusätzlich braucht man jemanden, der sich um seelische Probleme kümmert.

„Auch als seelisch erkrankter Mensch kann man ein sehr guter Wissenschaftler werden!“

ZEIT ONLINE: Die Umfrage hat auch ergeben, dass viele seelisch beeinträchtigte Studenten ihre Probleme verschweigen. Versagen die Beratungsstellen?

Bock: Schweigen ist ja nicht an sich verkehrt. Man muss eine Erkrankung auch nicht vor sich hertragen. Es gibt aber bestimmte Situationen, in denen man durch seine Erkrankung Ansprüche hat. Da muss ein Klima geschaffen werden, dass erkrankte Studenten keine Scham haben, ihre Rechte einzufordern.

ZEIT ONLINE: Beim Thema Burn-out scheint die Hemmschwelle da inzwischen geringer zu sein.

Bock: Stimmt, mit einer Burn-out-Erkrankung kann man inzwischen offen umgehen. Depressionen sind auch nicht mehr so tabuisiert. Aber wenn es um Psychose oder Manie geht, dann fällt es Studenten schon schwerer, darüber zu sprechen. Das ist ein Problem in der Gesellschaft und die Hochschule ist ein Teil davon.

ZEIT ONLINE: Wie kann man dem entgegenwirken?

Bock: Man muss zum Beispiel deutlich machen, dass Nachteilsausgleiche für Behinderte keine Almosen sind. Außerdem muss man aufklären, denn es gibt immer noch Stimmen nach dem Motto: „Nun dürfen die Verrückten auch noch studieren!“

ZEIT ONLINE: Was erwidern Sie Menschen, die so denken?

Bock: Die meisten wissen nicht, dass es viele hochbegabte Wissenschaftler gibt, die psychisch krank sind oder waren. Viele Nobelpreisträger gäbe es nicht, wenn sie wegen ihrer Beeinträchtigungen nicht hätten zur Hochschule gehen können. Auch als seelisch erkrankter Mensch kann man ein sehr guter Wissenschaftler werden!

Autor: Ruben Karschnick

Quelle: http://www.zeit.de/studium/uni-leben/2012-06/studieren-behinderung-psyche/seite-1 ; erschienen am 8.6.2012

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