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Alltagsstruktur. Langweilig? Wirksam!

Foto: pexels.com

Vor zwei Jahren änderte sich in meinem Alltag so Einiges. Mein Studienleben war von morgens bis abends vollgepackt mit Terminen, Verpflichtungen und Freizeitaktivitäten. Langeweile oder Ruhephasen kamen selten vor. Ich musste mir auch nie Gedanken machen, wie ich meinen Tag strukturiere, da ich durch das Studium, die Arbeit und meine Freizeit eh einen engen, vorgegeben Zeitrahmen hatte. Dies änderte sich drastisch, als ich für meine Bachelorarbeit in eine neue Stadt zog, keine Uni, keine Arbeit und auch deutlich weniger Freizeitaktivitäten hatte.

Die Herausforderung Alltag

Ich stand vor der Herausforderung, meinen Tag komplett selbst zu strukturieren und zu gestalten… woran ich erst einmal grandios gescheitert bin. Dies, gepaart mit einigen anderen Faktoren, führte dazu, dass ich in eine immer größere Abwärtsspirale geriet, bis ich irgendwann an einem Punkt war, an dem ich keinerlei Kraft mehr hatte, mich selbst daraus zu befreien.

Mir fiel es immer schwerer, Dinge die ich mir für den Tag vornahm, zu bewältigen. Ich scheiterte an meinen Erwartungen an mich selbst, was mich ungemein frustrierte. Dieser Frust blockierte mich allerdings so sehr, dass ich am Ende mit den einfachsten und kleinsten Dingen überfordert war. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mich selbst nicht verstehen und versuchte immer wieder verzweifelt, zu meiner ehemaligen Leistungsfähigkeit zurückzufinden. Ich erstellte To-Do-Listen, setzte mir Fristen – meistens erfolglos. Hinzu kam, dass ich große Schlafprobleme hatte, oft die ganze Nacht wach lag und dadurch den ganzen Tag müde und lethargisch war. Meine Tage waren meist geprägt von fehlender Energie, Angst vor all dem, was ich eigentlich zu tun hatte und Frust, dass ich nichts schaffte. Es war ein ewiger Kreislauf, den ich lange nicht durchbrechen konnte. Ich zog mich immer weiter zurück, brach den Kontakt zu meinen Freunden und Familie weitestgehend ab und verließ meine Wohnung nur noch, wenn ich es musste.

Der Wendepunkt

Erst als ich erkannte, dass ich nicht alleine aus meiner Situation heraus komme und mir Hilfe bei meiner Familie, meinen Freunden und einer Therapeutin suchte, schaffte ich es, aus dem negativen Strudel herauszukommen. Der Wendepunkt war es, dass ich selbst akzeptierte, dass ich krank war und nicht die Erwartung an mich haben konnte, wieder von heute auf morgen zu funktionieren. Diese Erkenntnis nahm mir eine unglaubliche Last von den Schulten und ermöglichte es mir, meine Probleme anzugehen.

Um dies zu schaffen, musste ich mir allerdings erst wieder einen Alltag mit Tagesstrukturen aufbauen. Ich ging hier sehr sehr behutsam vor und versuchte keinerlei Erwartungen an mich aufzubauen. Ich distanzierte mich von dem Gedanken, dass ich mein Leben in den Griff bekomme, indem ich all die „Probleme“ angehe und dass ich einfach meine To-Do-Liste abarbeiten muss.

Erst einmal musste ich mich auf mich konzentrieren und meinen Alltag wieder aktiv selbst gestalten. Dieser war anfangs wirklich nur durch Dinge bestimmt, von denen ich merkte, dass sie mir und meinen Körper gut taten. Obwohl ich eigentlich immer ein großer Sportmuffel war, startete ich beispielsweise mit 10 Minuten Sport am Tag. Es mag vielleicht nach wenig klingen, doch diese 10 Minuten waren für mich unfassbar wichtig. Es war einerseits ein tägliches Erfolgserlebnis und gleichzeitig eine Aufgabe, die mir etwas Struktur zurück gab. Zudem machte ich fast tägliche Spaziergänge. Mal alleine, mal telefonierend oder mit Freunden. Ich erkundete so die Stadt, fühlte mich mehr und mehr wieder wohl unter Menschen und als Teil der Welt um mich herum. Es gab noch unzählige andere kleine Dinge, die ich machte. Die meisten davon waren Freizeitaktivitäten, nichts mit produktivem Output oder einem tieferen Sinn dahinter. Doch dadurch konnte ich meine Tage füllen und hatte wieder das Gefühl, aktiv meinen Alltag zu gestalten.

Ich war nicht mehr hilflos meiner Lethargie ausgesetzt und hatte nicht mehr das Gefühl, die Kontrolle über mich und mein Leben komplett verloren zu haben. Dadurch schaffte ich es, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, meine Gedanken zu ordnen und mich und meine Bedürfnisse wieder bewusst wahrzunehmen. Die wiedererlangte Struktur ermöglichte es mir, langsam Aufgaben anzugehen, soziale Kontakte aufzunehmen und wieder auf zu Beine zu kommen. Zusammen mit einer Therapeutin schaffte ich es, negative Denkmuster zu erkennen, zu hinterfragen und zu durchbrechen. Besonders der Kontakt und der Rückhalt meiner Freunde und Familie gab mir viel Kraft, wieder positiv ins Leben zurückzukommen.

Achtsam leben

Heute kann ich rückblickend sagen, dass ich nicht nur wieder zurück in einen Alltag gefunden habe, sondern unglaublich viel über mich selbst lernen konnte. Ich habe vieles beibehalten, was mir gut tut: ich versuche achtsamer zu leben, mehr auf mich selbst zu hören und bewusster Dinge zu machen, die mir gut tun. Ich habe gelernt, dass man nicht immer erst etwas geleistet haben muss um sich zu belohnen. Oft geben einem schöne Dinge erst die Kraft, Aufgaben und Herausforderungen anzugehen. Und egal wie viel ich zu tun habe, ist es mir wichtig, Zeiten für mich und schöne Aktivitäten in meine Tagesstruktur einzuplanen.

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