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Projekt 8 Leben – Werde Teil der Suizid-Entstigmatisierung

Foto: 8leben.psychenet.de

Hinter dem Online-Programm „8 Leben – Erfahrungsberichte und Wissenswertes zum Thema Suizid“ stecken zwei Frauen, die sich zum Ziel gesetzt haben, über Suizidalität aufzuklären. Sarah – Diplompsychologin, psychologische Psychotherapeutin und Forschungsgruppenleiterin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Mareike – Diplompsychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Online-Programm „8 Leben“.

Was ist 8 Leben?

„8 Leben – Erfahrungsberichte und Wissenswertes zum Thema Suizid“ ist ein Online-Programm. Wir möchten mit dem Programm Wissen über Suizidalität erhöhen und Stigmatisierung verringern.

Unser Online-Programm „8 Leben“ hat verschiedene Bausteine, insgesamt acht Kapitel. Acht betroffene Personen (deshalb der Name des Programms) berichten in Videos von ihren Erfahrungen mit Suizid. Einige dieser Personen haben eine wichtige Person durch Suizid verloren, einige berichten von eigener Suizidalität. Im Programm gibt es außerdem wissenschaftlich fundierte Informationen zum Thema Suizidalität, Strategien zum Austausch mit anderen, Ideen, wie man vorbeugend ansetzen kann, und die Möglichkeit, eigene Gedanken zum Thema Suizidalität und Stigmatisierung uns und anderen Teilnehmer*innen des Programms anonym mitzuteilen.

Welches Ziel verfolgt ihr mit diesem Projekt?

Wir möchten für das Thema Suizidalität sensibilisieren und seriös darüber aufklären, um Vorurteilen vorzubeugen. Wenn man mehr über ein tabuisiertes Thema weiß, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man darüber spricht und sich Hilfe holt, falls man selbst in einer suizidalen Krise ist oder sich um nahestehende Menschen sorgt.

Wissen gibt häufig Sicherheit. Stigmatisierung hingegen kann dazu führen, dass ein Mensch sich weniger öffnet. Auch Menschen, die nicht von eigener Suizidalität betroffen sind, möchten wir sensibilisieren – um gut und ohne Verurteilung zuhören zu können, wenn sich jemand ihnen anvertrauen möchte.

Welche Probleme seht ihr, die Suizid immer noch zu einem Tabu machen?

Im Projekt ist uns schnell klar geworden, wie viel Mut es im Jahr 2019 immer noch erfordert, als Betroffene*r offen über das Thema Suizidalität und Suizid vor einer Kamera zu sprechen.

Prinzipiell schützen Tabus wichtige Werte einer Gruppe. Einer der wichtigsten Werte in vielen Gesellschaften ist das Leben selbst. Jemand, der an Suizid denkt oder versucht, sich das Leben zu nehmen, stellt sich gegen diesen Wert. Im Mittelalter galt Suizid in Europa als eine große Sünde und Schande. Es war unvereinbar mit christlichen Werten und stand teilweise unter Strafe.

Eine Person, die durch Suizid verstarb, wurde nicht auf dem Friedhof bestattet. Teilweise wurden zudem körperliche Strafen am Leichnam vollzogen. Hinterbliebene von Menschen, die durch Suizid verstorben sind, wurden enteignet und aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. In vielen Ländern Europas war Suizid bis ins 19. und 20. Jahrhundert hinein strafbar. In Preußen wurde die Bestrafung bereits 1751 aufgehoben, in England blieb Suizid bis 1961 strafbar. Diese geschichtliche Betrachtung gibt Ansätze für die Ursprünge des Tabus, das tief in der Gesellschaft verwurzelt ist. Wenn wir keinen Diskurs führen, bleibt etwas, das tabuisiert wurde, weiter ein Tabu.

Neben dem Pol der „Tabuisierung und Verbannung von Suizid“, der meist mit einer Abwertung und Schamgefühlen einhergeht, gibt es auf der anderer Seite den Pol der „Verherrlichung oder Romantisierung“ von Suiziden oder Suizidalität – beides kann problematisch sein.

Hinzu kommt: Wenn man Suizidalität zu sehr normalisiert, neigt man vielleicht dazu, das Erleben nicht ernst genug zu nehmen – Suizidalität sollte man nie auf die leichte Schulter nehmen. Dieser Balanceakt zwischen einerseits nicht zu stigmatisieren, nicht zu isolieren, andererseits nicht zu glorifizieren, aber auch nicht zu normalisieren macht es vielleicht beim Thema Suizid und Suizidalität besonders schwierig, Stigmatisierung und das Tabu aufzuweichen.

Neben den oben erwähnten Schamgefühlen, spielen häufig auch weitere Gefühle eine Rolle, warum es sehr schwer fallen kann, über Suizidalität oder einen Suizid von einer nahestehenden Person zu sprechen. Das können z.B. Schuldgefühle, eine Überforderungs- und Hilflosigkeitserleben oder auch Ärger, Ängste und intensive Trauer. Hinterbliebene, die jemanden durch Suizid verloren haben, empfinden häufig Schuldgefühle und es kann auch im Umfeld zu Schuldzuweisungen und Vorwürfen zwischen Angehörigen kommen. Solche Prozesse können ebenfalls zur Aufrechterhaltung des Tabus beitragen.

Wie können wir gegen die Stigmatisierung vorgehen?

Ein wichtiger Eckpfeiler ist es, Wissen zu erhöhen. Was ist Suizidalität? Wie viele Menschen erleben dies? Was sind Risiko-, was sind Schutzfaktoren? Wo bekomme ich Hilfe? Wie kann ich mit jemandem sprechen, der suizidal ist? Welches sind meine eigenen Stereotype und Vorurteile?

Ein weiterer Pfeiler ist es, in Kontakt zu treten. Wie möchte ich jemandem begegnen, der jemanden durch Suizid verloren hat? Wie jemanden, der suizidal war oder ist? Wie kann ich eigene Suizidgedanken anderen mitteilen?

Wie kann besonders der Austausch zwischen Menschen mit eigener Erfahrung, Angehörige und allgemein Interessierte helfen?

Für Betroffene, Angehörige und Interessierte kann es hilfreich sein, zu erfahren, wie einzelne Betroffene sich fühlen und was sie denken, was sie unterstützt hat – dieses Wissen kann helfen, sich im Gespräch sicherer und weniger hilflos zu fühlen.

Gleichzeitig kann es Betroffenen von Suizidalität auch helfen, die Angehörigenperspektive zu sehen und z.B. Sorgen zu verstehen. Angehörige, die jemanden durch Suizid verloren haben, erfahren, was anderen Angehörigen geholfen hat. Interessierte können die Perspektive der Betroffenen und der Angehörigen kennenlernen, um vorurteilsfreier mit dem Thema Suizid umgehen zu können.

Welche konkrete Lösung bietet 8 Leben dabei?

„8 Leben“ bietet wissenschaftlich geprüfte Informationen zum Thema Suizidalität. Wir denken, unser Programm lebt sehr davon, dass Betroffene und Angehörige über ihre Erfahrungen sprechen und insgesamt an der Gestaltung des Programms beteiligt waren. Zu sehen, dass verschiedene Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen, die „normal“ aussehen – wie Ihr und wir – , suizidale Krisen überwunden haben oder jemanden durch Suizid verloren haben und zu erfahren, was ihnen hilft, kann Mut machen, sich anderen anzuvertrauen und dazu beitragen, sich mit diesem Thema nicht allein zu fühlen.

Eine weitere Stärke des Programms ist die wissenschaftliche Überprüfung: Wir überprüfen im Rahmen unserer Studie, ob die Ziele des Projekts erreicht werden. Wenn Ihr mitmacht, könnt Ihr außerdem konkret Rückmeldung geben, was Euch gefallen hat und welchen Verbesserungsbedarf Ihr seht – dieses Feedback hilft uns bei der Weiterentwicklung.

Welche Rückmeldung erhaltet ihr von Menschen nach der Teilnahme an eurem Projekt?

Was uns sehr berührt hat, sind erste digitale Postkartenbotschaften, die anonym von Teilnehmer*innen verfasst worden sind. Sie beschreiben darin ihre verschiedenen Erfahrungen mit Suizidalität und Stigmatisierung, was ihnen geholfen hat und was sie anderen mitgeben möchten. Genau diesen Austausch möchten wir gern anregen. Durch das Bereitstellen vieler unterschiedlicher Botschaften und Erfahrungsberichte können wir zeigen, wie komplex das Thema und die unterschiedlichen Erfahrungen sind; wir können Menschen stärken, ihnen Mut machen und helfen, sich nicht allein zu fühlen.

Wie kann ich teilnehmen?

Unter https://8leben.psychenet.de/ findet Ihr das Programm, für das Ihr Euch mit einer Mailadresse anmelden könnt. Auf der Seite findet Ihr auch weitere Informationen zum Programm und der damit verbundenen Studie. Die Teilnahme ist ab 18 Jahren möglich, anonym und kostenlos.

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