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Mein Klinikaufenthalt – Die beste Entscheidung meines Lebens

Foto: Katrin Frey

Kati leidet unter chronischen Depressionen und empfindet ihren Entschluss in die Klinik zu gehen als beste Entscheidung ihres Lebens. Um mit ihrer Depression umzugehen und anderen Menschen Mut zu machen, schreibt sie auf ihrem Blog Deep Words

Ohne Hoffnung im Bett meiner Mutter

Ich erinnere mich noch ganz genau an den Moment, in dem ich realisierte, dass ich diesen zuvor undenkbaren Schritt nun würde gehen müssen. Ich lag wenige Tage vor meinem 32. Geburtstag im Bett meiner Mutter, wimmernd und weinend wie ein kleines Kind, ohne Hoffnung, dass es eine Zukunft für mich geben konnte. Ich war gefangen in einem dunklen Tunnel, dessen Ende auf beiden Seiten verschlossen war und ich wusste auf einmal, dass ich den Weg heraus alleine nicht mehr finden würde.

Bin ich krank genug?

Selbstverständlich plagten mich Ängste, Schamgefühl und Zweifel – die Frage, was da wohl auf mich zukäme und ob es wirklich richtig sei „mir das anzutun“, die Scham davor, nun völlig „verrückt“ geworden zu sein und dann wiederum Zweifel, ob ich tatsächlich „krank genug“ wäre. Doch der Entschluss in eine psychosomatische Klinik zu gehen, der bisher völlig unvorstellbar gewesen war, wurde zu meiner einzigen Hoffnung.

Der schwere Schatten

Er war nicht über Nacht gekommen. Dieser schwere Schatten, der damals auf mir lag, hatte sich schon über Monate, Jahre, ja vielleicht sogar Jahrzehnte, unerkannt und unaufhaltsam seinen Weg gebahnt. Wie mir später klar wurde, kannte ich einige Symptome der Depression bereits so gut, dass ich sie als Teil meiner Persönlichkeit betrachtet hatte.

Doch egal wie mies ich mich gefühlt und wie laut meine Seele geschrien hatte, studierte, arbeitete, lächelte und funktionierte ich weiter. Die Zeitabstände meiner Tiefs wurden allerdings immer kürzer bis ich dann von einem Tsunami an Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Leere und Erschöpfung überrollt wurde und wie ein kleines Kind hilflos in meinem Alltag versunken war.

Meine Entscheidung für die Klinik

Als meine Therapeutin erstmals von Antidepressiva sprach, traute ich zunächst meinen Ohren nicht. Ich und Depression? Diesen Zusammenhang konnte ich mir trotz allem nicht erklären. Nur zwei Wochen später jedoch, nachdem sich mein Leidensdruck bis ins Unermessliche verstärkt hatte und ich mir nicht mehr zu helfen wusste, bat ich meine Therapeutin um eine möglichst schnelle Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Mir blieben nun noch vier Tage, um mich auf den Klinikaufenthalt vorzubereiten. Und damit auch vier Tage, in denen ich mich mit quälenden Fragen, Angstfantasien und Horrorszenarien beschäftigen konnte.

Wo sind die ganzen Psychos?

Doch es gab nun kein Zurück. Eine meiner größten Ängste, nämlich, dass meine Depression nicht schwer genug sei oder es mir doch noch zu gut ginge für einen solchen Aufenthalt, hatte sich schnell erledigt. Statt weinenden, am Boden zerstörten Depressiven, die man auf der Straße sofort als solche enttarnen würde, traf ich dort auf Patienten, die lachten, scherzten, spielten und sich unterhielten über Gott und die Welt.

Wo waren denn diese ganzen „Psychos“, die ich mir vorgestellt hatte und von denen ich überzeugt gewesen war, dass es ihnen viel schlechter ginge als mir selbst? Tja, diesen einen Depressiven, der von Selbstmordgedanken geplagt nicht mehr aus dem Bett kommt und in Taschentüchern versinkt, gibt es eben nicht.

Es kann jeden treffen

Mir wurde bereits in den ersten Tagen klar, dass keine Depression wie die andere ist, und dass es völlig unterschiedliche, zum Teil sogar gegensätzliche Symptome gibt. Und – dass es jeden treffen kann – unabhängig von Alter, Beruf, Herkunft und Geschlecht.

Und auch sonst hatte ich mir so eine psychosomatische Klinik irgendwie anders vorgestellt. Ohne Freiheit, mit Zwängen und Verpflichtungen. Die wichtigsten Verpflichtungen waren jedoch sich an die Essenszeiten und an den Therapieplan zu halten. Man konnte die Klinik jederzeit für einen Stadtbummel oder Spaziergang verlassen, zum Teil sogar das Wochenende zuhause verbringen.

Die Maske fallen lassen

Schon nach wenigen Tagen hatte ich mich an die Abläufe in der Klinik gewöhnt und so langsam breitete sich in mir ein Gefühl der Erleichterung aus. Ich war an einem sicheren Ort, an dem man ohne Tabus über seine Gedanken und Gefühle sprechen konnte, wo Menschen waren, die einen verstanden und einen nahmen, wie man war und wie man sich eben fühlte.

Endlich konnte ich die Maske fallen lassen, mit der ich im Alltag so lange erfolgreich versucht hatte, mir nichts anmerken zu lassen und zu zeigen, dass ich alles im Griff hatte. Der Therapieplan, der unter anderem bestückt war mit Einzelpsychotherapie, Gruppentherapien, Körper- und Tanztherapie sowie Kunst- und Musiktherapie, gab dem Alltag eine verlässliche Struktur und sorgte dafür, dass die Wochen wahnsinnig schnell vergingen. Abends traf man sich im Sommer draußen, sang gemeinsam zu den Klängen der Gitarre oder spielte Karten.

Gemeinschaft hilft

Die Gemeinschaft tat mir unglaublich gut. Ich hatte mich zuvor oft einsam gefühlt, nicht zuletzt deshalb, weil ich mich in depressiven Phasen sehr stark zurückzog und isolierte. Hier musste man sich nicht verstecken. Man konnte teilnehmen, ganz unabhängig davon, wie es einem ging, ob man lachte, weinte oder einfach nur dabei saß und schwieg.

Auch in den Gruppentherapien konnte man eine Verbundenheit spüren wie selten im alltäglichen Leben, denn man hatte in diesem geschützten Rahmen endlich die Möglichkeit sich anderen mitzuteilen und gleichzeitig erfuhr man, dass es anderen oft ganz ähnlich ging.

Friede, Freude, Eierkuchen?

Natürlich war nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Und auch die Depression war nicht von heute auf morgen geheilt. Im Gegenteil. Während viele die Klinik nach 8-10 Wochen verließen, blieb ich ganze 18 Wochen. Ich erlebte dort den heißen Sommer, den sonnigen Herbst und sogar den ersten Schnee im Schwarzwald. Für jeden einzelnen Tag bin ich noch heute dankbar. Das klingt natürlich alles zu perfekt um wahr zu sein und es wäre gelogen, wenn ich verschweigen würde, dass dies die schwerste Zeit in meinem Leben war. Therapie bedeutet auch, sich mit den Schattenseiten seiner Seele auseinanderzusetzen, mit den Ursachen der Depression und dem eigenen Selbst. Das war sehr schmerzhaft.

Die beste Entscheidung meines Lebens

Doch in der Klinik fand ich den nötigen Halt, die Zeit und den Raum, um dies aushalten und langsam heilen zu können. Für mich wurde die Klinik in dieser Zeit zu einem Zuhause. Zu einem Ort, an dem ich erstmals in meinem Leben das Gefühl hatte, sein zu können, wie ich bin, gehalten und geschätzt zu werden.

Diese Erfahrung würde ich niemals missen wollen. Der Entschluss in eine Klinik zu gehen, der mir anfangs als erbärmlicher, letzter Schritt erschien, hat sich als die beste Entscheidung meines Lebens erwiesen.

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