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Im Schatten des inneren Kritikers – Wie Ihr Euren Pessimisten zum Reden einladet

Bild: HelloBetter

„Weißt du, wie peinlich das für dich wird?!“
„Bist du dir sicher, dass du überhaupt eingeladen bist?“
„Das Beste für dich wäre noch, wenn dich keiner bemerkt.“

Sein Magen zieht sich zusammen, ihm wird heiß und kalt. Er merkt, dass er sich nicht mehr auf das Spiel konzentrieren kann. Noch zwei Freunde neben ihm, dann ist er an der Reihe. Bevor sein Kumpel ihm die Wahrheit-oder-Pflicht Frage stellen kann, springt er auf und rennt raus. Als ich meinen Klienten frage, was auf der Party passiert sei, sagt er: „Nichts. Ich saß einfach da und auf einmal war diese Stimme wieder in meinem Kopf.“

Diese Stimme hat einen Namen. Gestatten: Der innere Kritiker.

Wir alle haben einen inneren Kritiker in uns. Wenn der innere Kritiker laut ist, werden wir meistens leise. Wir ziehen uns zurück, werden ohnmächtig, ängstlich und kraftlos. Wenn der innere Kritiker einen Wutausbruch hat, dann hört er sich so an wie bei meinem Klienten.

Dieser innere Kritiker ist meistens ein Nörgler, Pessimist und kann ein ziemliches – sorry – Arschloch sein. Wenn wir uns etwas wünschen oder erträumen, hat er seinen großen Auftritt: Er ermahnt uns zur Vorsicht, redet uns unsere Ziele aus und achtet penibel darauf, dass wir nicht aus der Reihe tanzen.

Woher kommt dieser innere Kritiker?

Der innere Kritiker ist eine Stimme, die schon relativ früh in unserem Leben entsteht. All unsere wichtigen Bezugspersonen geben uns Regeln und Gebote mit. Diese Regeln sollen uns in der Regel Orientierung geben (Das macht man nicht!), die Beziehungen mit anderen stärken (Sei nett zu ihr!) und uns schützen (Mach nicht so wild, sonst tust du dir noch weh!).

Über die Jahre verinnerlichen wir diese Gebote. Als Kinder können wir nicht unterscheiden zwischen den Ansprüchen der Erwachsenen und unserer Person. Aus „Mama stört es, wenn ich tobe und schreie“ wird „Ich bin zu laut, zu wild, zu viel“.

Wir möchten unseren Eltern gefallen und daher ist es besonders wichtig, dass wir im Gehirn ganz genau abspeichern, wie wir uns verhalten und vor allem wie wir uns nicht verhalten sollten. Sobald wir merken, dass wir wieder z.B. lauter und wilder werden, kritisieren wir uns selbst dafür, bevor es jemand anderes tun kann. Nehmen wir die Kritik vorweg, so glauben wir, kann uns niemand mehr dafür bestrafen.

So betrachtet meint es der innere Kritiker eigentlich gut mit uns. Er möchte uns davor schützen, dass wir enttäuscht werden, uns etwas schlimmes passiert oder wir aus einer Gruppe ausgeschlossen werden. Außerdem will er uns motivieren, dass wir uns anstrengen und uns selbstkritisch hinterfragen. Wenn wir nie in Frage stellen, was wir tun, werden wir uns nie verändern.

Die Absichten des inneren Kritiker sind gut gemeint und doch vergreift er sich regelmäßig im Ton. Es ist also nicht unbedingt das Problem, was er uns sagen will, sondern die Art und Weise, wie der innere Kritiker sich angewöhnt hat mit uns zu reden: Er ist kommandierend, verletzend, hart, unbarmherzig und nichts ist gut genug.

Was machen wir nun mit diesem kleinen Tyrannen?

Wir sollten das tun, worauf wir eigentlich gar kein Bock haben: Zuhören, was er zu sagen hat. Aber vorher müssen wir ihm ein paar Manieren beibringen.

Der innere Kritiker braucht also entweder einen starken ebenbürtigen Gegenspieler oder am besten gleich ein ganzes Team, das ihn in die Schranken weist.

Neben dem inneren Kritiker haben wir viele Anteile, die uns seit frühester Kindheit begleiten oder die in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter dazu gekommen sind.

Diese liebevollen Begleiter sind freundlich, unterstützend, aber eben auch ruhiger. Da ist vielleicht die fürsorgliche Mutter, die tröstend und zugewandt ist. Die Schulfreundin, die mit dir lacht und dich daran erinnert, was du schon alles geschafft hast. Oder der liebevolle, ermutigende Opa, der auch mal auf den Tisch haut und zum inneren Kritiker sagt: Du bist nicht der einzige hier, der was zu sagen hat!

Wie gehen wir mit dem inneren Kritiker um?

Der innere Kritiker kommt in guter Absicht, deswegen ist es nicht sinnvoll ihn zu verbannen. Er ist ein Teil von dir. Mach ihm aber klar, dass es in deinem Team Regeln gibt, wie man miteinander spricht, dass man freundlich und wertschätzend miteinander umgeht und dass jeder sich daran halten muss.

Lade ihn trotzdem ein, seine Meinung mitzuteilen. Er sieht unheimlich viele Potentiale, er kann dich antreiben Dinge besser zu machen und dich motivieren selbstkritisch zu bleiben.

Unsere Aufgabe ist es, dieses Team an einen Tisch zu setzen. Es geht nicht darum, den inneren Kritiker auszuladen, sondern alle Anteile zu Wort kommen zu lassen.

Wie machen wir das genau?

Schritt 1: Wer bin ich und wenn ja, wieviele?
Schau dir dein inneres Team genau an. Wer ist da und was wollen sie dir sagen? Hör dir die Position deines inneren Kritiker genau an. Danach mach dich auf die Suche nach wohlwollenden Unterstützern.

Meistens sind die nur leiser und zurückhaltender, aber sie sind da. Du kannst deine Anteile besser kennenlernen, wenn du weißt, mit wem oder was du es zu tun hast. Hör mal genauer hin.

Schritt 2: Jeder hat das Recht auf eine Meinung.
Es hört sich womöglich erstmal ungewöhnlich an, aber wir können diese inneren Anteile an einen Tisch kommen lassen und miteinander reden lassen. Deine Aufgabe als Teamleiter*in ist es, sich die unterschiedlichen Positionen genau anzuhören, alle zu Wort kommen zu lassen – mit dem Wissen, dass jeder Anteil gleich wichtig ist.

Der fürsorgliche Opa ist genauso wichtig wie der innere Kritiker. Es ist an dir, beide Positionen aussprechen zu lassen und dann mit dem Wissen eine ausgeglichene Entscheidung zu treffen. So hörst du den inneren Kritiker vielleicht sagen „Das wird doch nie irgendwas. Sei lieber vorsichtig.“, während der Opa entgegnet „Trau dich. Das wird schon schief gehen.“.

Schritt 3: Waffenstillstand
Der Selbstwert setzt sich zusammen aus allen Urteilen, die wir uns über uns selbst bilden. Um den Selbstwert zu stärken, ist es sinnvoll, ab und zu positive Urteile über sich zu bilden. Dazu benötigt man jedoch einen fairen Blick und Waffenstillstand mit sich selbst.

Wenn du nur mit dem Getöse des inneren Kritiker verschmilzt, dann hast du keine Chance darauf, dich gut zu fühlen. Hand aufs Herz: So würdest du mit einer anderen Person nie reden. Warum lässt du also zu, dass man so mit dir redet?

Der faire Blick bedeutet, dass man einmal überlegt: Welchen Maßstab lege ich an, wenn ich andere beurteile? Bist du mit anderen freundlicher, gnädiger als mit dir selbst? Kannst du einen fairen Blick auf dich werfen? Versuche das Positive an dir zu sehen, anzuerkennen, was gelungen ist und fair zu dir zu sein. Falls dir das schwer fällt, frag doch mal deine Freundin, deine Oma, deinen Lehrer? Was hätten diese Anteile zu dir zu sagen?

Redet mal mit euch selbst

Vielleicht denkst du dir jetzt auch: „Was ist das denn für ein Blödsinn? Ich rede doch nicht mit mir selber und schon gar nicht mit irgendwelchen Anteilen von mir. Ich bin doch nicht verrückt!“. Wenn du den Gedanken hast, frag dich doch mal, ob sich da nicht gerade wieder dein innerer Kritiker zu Wort meldet.

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