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Soforthilfe

Danach ist alles anders – Wie ein Suizid in der Familie mein Leben veränderte

Bild: Katharina Wendt

Vor zwei Jahren veränderte ein Anruf Katharinas (37) ganzes Leben. Am 9. September 2018 nahm sich ihr Vater das Leben. Wie sie damit umgegangen ist, warum Hilfe annehmen so wichtig war und mit welchem Ziel sie ihren Blog Seelennebel startete, teilt sie hier. 

Die Zeit danach

Die ersten Tage und Wochen nach dem Tod meines Vaters habe ich nur funktioniert. Ich habe alles geregelt, was es zu regeln gab und machte alles, was notwendig war. Dass ich traumatisiert war, die ersten Wochen nicht im Stande war, richtig zu trauern, ist mir erst heute bewusst.

Neben meinen eigenen Gedanken und Gefühlen wie Trauer, Wut, Schuld und Scham kamen noch die Reaktionen des Umfeldes hinzu. Die Umstände waren schwierig, wodurch ich keinerlei Hilfe hatte und mich von allen isoliert fühlte.

Wie reagiert man richtig in einer solchen Situation und wie trauert man richtig? Manche verändern jahrelang nichts und andere müssen sich schnellstens von allen Sachen trennen. Wer entscheidet, was richtig und falsch ist? Ich habe versucht auf die Umstände zu reagieren, die mir gegeben wurden, dabei habe ich sicherlich Fehler gemacht.

Bei allem habe ich versucht, im guten Sinne meines Vaters zu handeln.

Sich Hilfe suchen

Ich fühlte mich mit dem Thema und der Situation allein gelassen. Ich kannte niemanden dem sowas passiert war, so dass ich entschied in eine Selbsthilfegruppe zu gehen. Das war für mich eine der besten Entscheidungen, denn endlich sah ich, dass andere ähnliches durchmachten wie ich.

Ich erkundigte mich über Suizid und erfuhr, dass jährlich 10.000 Menschen durch Suizid sterben und damit mehr als bei Verkehrsunfällen, Drogen und HIV zusammen. Dies bedeutet gleichzeitig, dass rund 50.000 nahestehende Menschen jährlich von einem Suizid betroffen sind. Ich bin also nicht allein.

Mein neues Leben

Mein Fokus im Leben hat sich seit dem Ereignis verändert. Meine Einstellung zum Leben hat sich verändert. Wo ich mich früher noch über Ereignisse und Themen aufgeregt habe, sehe ich heute in anderen Dingen die Wichtigkeit.

Mir war es vorher schon wichtig, jeden Menschen so anzunehmen wie er oder sie ist und die Vielfalt des Lebens zu lieben. Aber heute lebe ich dies noch mehr. Auch habe ich mich oft gefragt, auf was möchte ich zurückblicken, wenn ich am Ende meines Lebens stehe? Dies hat mir geholfen einen neuen Fokus im Leben zu finden.

Meine Gedanken und Gefühle

Es war schwierig am Anfang, das alles zu begreifen. Ich bin die letzten Stunden mit meinem Vater immer und immer wieder durchgegangen und habe mich mehrfach gefragt, was ich hätte anders sagen oder machen können. Ich bin die letzten Jahre durchgegangen und habe mich gefragt, wann das angefangen haben könnte, ob es einen Auslöser gab und wie ich ihm hätte helfen können.

So viel Fragen gehen im Kopf umher. So viele Gefühle.

Umso schwerer fällt es, alles zu verarbeiten, wenn das Thema ein so großes Tabu in der Familie, im Bekanntenkreis meines Vaters und in der Gesellschaft ist. Ich habe immer das Gefühl, man kann sich nicht einfach mal an ihn erinnern ohne, dass eine Schwere mitklingt und nicht nur sein Tod, sondern auch er selbst zu einem Tabu werden.

Es muss in der Öffentlichkeit darüber gesprochen werden

Ich möchte das Schweigen zu dem Thema nicht länger hinnehmen. Ich habe angefangen über meine Gefühle und Erlebnisse zu schreiben und möchte damit anderen Betroffenen Mut machen. Als ich zum ersten Mal öffentlich über das Thema sprach, war ich mehr als aufgeregt. Ich hatte Angst.

Wie würden andere Menschen darauf reagieren? Würde ich Ablehnung oder negatives Feedback erhalten? Würde ich wirklich anderen helfen können?

Ich bekam keine negativen Rückmeldungen sondern ganz viel Unterstützung. Mein Blog Seelennebel hat viel positive Resonanz erhalten und immer mehr Türen haben sich geöffnet, immer mehr Menschen sich gemeldet, die etwas zu dem Thema sagen wollten.

Meine Vision ist es, dass wir irgendwann so offen über psychische Erkrankungen sprechen können, wie über jede körperliche Erkrankung. Dazu wird es nur kommen, wenn wir uns trauen offen darüber zu reden. Ich weiß, wie viel Mut es erfordert, solche Themen anzusprechen. Ich hoffe, ich kann dir Mut machen.

Solltest du eine nahestehende Person durch Suizid verloren haben, sage ich dir, du bist nicht allein. Solltest du selbst eine psychische Erkrankung haben, bist du auch damit nicht allein. Reden hilft. Sei mutig und rede darüber. Es darf kein Tabu mehr sein.

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