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Wie wirkt Psychotherapie?

Bild: HelloBetter

Ist Psychotherapie gleich Psychotherapie? Und überhaupt: Wer bezahlt das, wie lange dauert es und woher weiß man, wann man sich Hilfe suchen sollte? Gemeinsam möchten wir einige Fragen rund um das Thema Psychotherapie beantworten.

Wir, das sind Dr. Alena Rentsch und Annika Haffke von HelloBetter. Alena kennst du vermutlich bereits aus Blogartikeln oder dem Format Real Talk auf Instagram. Seit einem Jahr besteht nun schon die Kooperation zwischen Freunde fürs Leben und HelloBetter.

Unser Resümee lautet: Wir sind dankbar, gemeinsam so viele Menschen zu erreichen und ein wenig Licht in das Dunkel rund um das Thema psychische Gesundheit zu bringen.

Und genau deshalb soll es auch weitergehen. Wir werden den Real Talk auf Instagram fortsetzen, allerdings mit neuem Gesicht. Statt Alena wird euch Annika ab Juni Fragen rund um ein Thema zur psychischen Gesundheit beantworten und Strategien an die Hand geben, was ihr konkret tun könnt oder wo ihr Hilfe findet.

Annika, magst du dich einmal kurz vorstellen?

Annika: Klar, gerne. Ich bin Annika, 33 Jahre alt und lebe in Berlin. Ich habe Psychologie studiert und mich dann dazu entschieden, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin zu werden, also mich auf die Behandlung von Menschen bis 21 Jahre zu spezialisieren.

Seit fast einem Jahr arbeite ich nun bei HelloBetter und man findet mich meistens fleißig an der Weiterentwicklung unserer psychologischen Online-Trainings oder beim Schreiben eines Blogartikels.

In meiner Freizeit bin ich gerne mit meinem Hund draußen und habe eine große Leidenschaft für gutes Essen und Gesellschaftsspiele.

Recherchiert man im Internet, stellt man schnell fest: Psychotherapie ist nicht gleich Psychotherapie. Welche Formen gibt es eigentlich und was sind die Unterschiede?

Annika: Es gibt viele verschiedene Therapieformen, aber in Deutschland sind vier Verfahren besonders wichtig: Die Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie und systemische Therapie.

Sie nennen sich auch Richtlinienverfahren und haben gemeinsam, dass ihr Kosten von den Krankenkassen übernommen werden. Für die systemische Therapie gilt das allerdings leider im Moment nur für Erwachsene.

Wenn man an das klassische Bild der Couch denkt, dann passt das am ehesten zur Psychoanalyse. Sie ist die älteste der Therapieschulen und geht auf einen Mann zurück, dessen Namen du wahrscheinlich schon einmal gehört hast: Sigmund Freud. Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist eine Weiterentwicklung der Psychoanalyse.

Beide Therapieformen gehen davon aus, dass unbewusste Konflikte die zentrale Rolle in der Entstehung psychischer Erkrankungen spielen. Der Fokus liegt deshalb viel auf der Vergangenheit, in der die Ursachen der Beschwerden vermutet werden.

Im Vergleich dazu ist die Verhaltenstherapie eher gegenwartsorientiert und legt den Schwerpunkt darauf, wie du dein Erleben, deine Verhaltens- und Gedankenmuster im Hier und Jetzt verändern kannst.

Bei der systemischen Therapie steht nicht die Einzelperson, sondern das gesamte „System“ im Fokus. Damit ist der soziale Kontext, also zum Beispiel deine Familie oder andere wichtige Bezugspersonen, gemeint.

Braucht man eine Diagnose, um einen Therapieplatz zu bekommen?

Annika: Grundsätzlich schon. Das heißt aber nicht, dass du schon vor deinem ersten Termin bei einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten eine Diagnose brauchst. Denn die ersten Stunden sind noch gar keine Therapie, sondern eher eine Art Kennenlernen. Das nennt sich auch Probatorik.

In dieser Zeit wird dir der Psychotherapeut oder die Psychotherapeutin einige Fragen stellen, um dich und deine Situation besser kennenzulernen. Im Anschluss entscheidet er oder sie dann, ob die Kriterien für eine psychische Erkrankung erfüllt sind und bespricht das auch mit dir.

Woher weiß man denn, ob man “psychisch krank” ist? Und was bedeutet eine Diagnose?

Alena: Psychisch erkrankt bedeutet erstmal, dass man sich psychisch beeinträchtigt fühlt. Entweder weil man unter bestimmten Beschwerden, wie Panikattacken oder Niedergeschlagenheit leidet, sich im Alltag, also auf der Arbeit, in der Schule oder auch in Beziehungen beeinträchtigt fühlt oder vielleicht sogar sich selber oder andere gefährdet.

Es kann hilfreich sein, zu wissen, dass die Übergänge zwischen “psychisch gesund” und “psychisch krank” fließend sind – und jede:r selbst schon das eine oder andere psychische Symptom erlebt hat. Daher es gibt nicht “die psychisch Kranken”, sondern wir alle können Symptome einer psychischen Erkrankung entwickeln, aber auch viel dafür tun, dass wir nicht unter psychischen Beschwerden leiden.

Die Zuordnung zu einer Diagnose ist insofern wichtig, weil dadurch Psychotherapeut:innen und Ärzt:innen Beschwerden einordnen und besser verstehen können, die richtigen Therapien und Methoden zur Verfügung stellen und damit auch die Krankenkassen die Behandlungskosten übernehmen.

Eine Diagnose bedeutet also erstmal nur, dass es sich um behandlungswürdige Beschwerden handelt, die also auch von der Krankenkasse übernommen werden.

Wie findet man selber heraus, ob man sich Hilfe suchen sollte?

Alena: Ich glaube viele Menschen merken, dass es ihnen nicht gut geht und merken auch, wenn sie in einer schwierigen Phase stecken. Generell gilt: Man sollte sich lieber früher Hilfe suchen, als später.

Man kann sich aber einige Fragen stellen, die hilfreich sind diesem unguten Gefühl “mit mir stimmt was nicht” auf den Grund zu gehen:

Fühle ich mich anders als sonst? Beunruhigt mich diese Veränderung? Gibt es eine Erklärung für die Veränderung?

Fällt es mir schwer mich auf die Schule, Studium oder Arbeit zu konzentrieren? Kann ich mich manchmal nicht aufraffen?

Mache ich mir immer Sorgen und habe ich viel Angst? Oder bin ich gereizt, wütend? Fühle ich mich innerlich leer?

Leide ich unter körperlichen Beschwerden? Schlafe ich zum Beispiel viel weniger oder mehr als sonst?

Ist mir das alles egal? Habe ich Gedanken an den Tod?

Helfen Gespräche mit Freunden nicht mehr? Fällt die Veränderung auch anderen deutlich auf? Machen sich andere Sorgen um dich?

Für welche Therapieform sollte ich mich entscheiden? Gibt es da Regeln, was für wen geeignet ist?

Darauf gibt es keine pauschale Antwort, denn das ist wirklich sehr individuell. Vielleicht kann es dir aber helfen, dir folgenden Fragen zu stellen:

Willst du „tiefer“ gehen, möglichen Ursachen auf den Grund gehen und eher vergangenheitsorientiert arbeiten? Dann könnte die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie oder die Psychoanalyse vielleicht etwas für dich sein.

Oder möchtest du den Fokus auf die Gegenwart legen, in der du dein Verhalten, deine Gedanken und Gefühle erforschen und verändern kannst? In diesem Fall wäre vielleicht die Verhaltenstherapie das richtige.

Ist das System (also dein Umfeld) sehr wichtig in Bezug auf deine Beschwerden? Dann bist du vielleicht in der systemischen Therapie gut aufgehoben.

Und was natürlich auch wichtig ist: Was sagt dir dein Bauchgefühl? Deine erste Entscheidung ist dabei auch nicht endgültig. In der Probatorik kannst du noch einmal alle deine Fragen stellen und dann entscheiden, ob du dir diese Therapieform vorstellen kannst.

Wie lange dauert eine Psychotherapie?

Annika: Auch das kann ganz unterschiedlich sein und hängt von vielen Faktoren ab. In einigen Fällen reichen bereits 10 oder 12 Sitzungen, um zu sagen „So wie es sich jetzt verändert hat, ist es gut.“

Oft braucht es aber länger. Eine Kurzzeittherapie dauert zum Beispiel bis zu 24 Stunden, eine Langzeittherapie in der Verhaltenstherapie bis zu 80. In der Psychoanalyse sind es sogar bis zu 300.

Grundsätzlich würde ich sagen: So lange es nötig und sinnvoll ist. Manchmal bedeutet das, dass eine Therapie verlängert wird, ein anderes Mal, dass sie schon früher beendet werden kann.

Was würdet ihr jemandem raten, der bzw. die unsicher ist oder Angst davor hat, eine Therapie zu machen?

Alena: Wann sollte man sich Hilfe suchen? Die einfache Antwort ist: Immer dann, wenn man das Gefühl hat Unterstützung gebrauchen zu können. So einfach ist das aber für viele nicht.

Klient:innen stellen sich oft Fragen wie: Geht es mir wirklich so schlecht? Geht das nicht irgendwann wieder weg? Bekomme ich das nicht auch alleine hin?

Viele Menschen, die unter psychischen Problemen leiden, suchen selten, zu spät oder sogar nie professionelle psychologische Hilfe auf: Aus Angst vor Stigmatisierung, weil die eigene Kraft nicht reicht oder weil sie nicht wissen, ob sie einen Psychotherapeuten brauchen.

Jede:r Vierte in Deutschland leidet unter psychischen Erkrankungen, doch nur circa 19 % suchen sich Hilfe im Gesundheitssystem. Grundsätzlich kann man also sagen, dass die meisten Menschen mit psychischen Erkrankungen zu lange warten und zu wenig Hilfe in Anspruch nehmen.

Gleichzeitig sollte man natürlich nicht jeden Menschen, der in einer schwierigen Phase steckt zum Patienten bzw. zur Patientin machen. Die meisten Menschen haben wahnsinnig viele Ressourcen und weisen eine hohe Resilienz – also eine psychische Widerstandsfähigkeit – auf, um schwierige Phase zu überstehen und gut zu meistern.

So banal das klingt, aber die meisten Menschen müssen andauernd mit Problemen und Veränderungen umgehen. Dabei müssen sie sich immer wieder anpassen und auf neue Situationen einstellen. Meistens gelingt uns das ganz gut und manchmal fällt es uns schwerer. Dann merken wir das auch an unserer psychischen Gesundheit.

Ist bei einer Therapie ein Erfolg garantiert?

Annika: Ein Erfolgsversprechen gibt es nicht. Das ist eigentlich genau wie bei Medikamenten oder einer Operation. Eine Garantie für Linderung oder Heilung sind sie nicht, aber die Chance, dass sie helfen, stehen gut.

Besonders am Anfang ist manchmal Geduld gefragt. Oft will man ja, dass es einem möglichst schnell besser geht und kann dann enttäuscht oder sogar verärgert sein, wenn das nicht so ist. Zu Beginn ist es nämlich gar nicht so selten, dass die Beschwerden zunehmen.

Das ist auch nicht verwunderlich, schließlich thematisierst du plötzlich offen, wo vielleicht Probleme liegen oder du dich nicht gut fühlst. Das kann schmerzen. Aber es lohnt sich, denn nur so kann sich langfristig etwas verändern.

Wenn man jedoch auch nach längerer Zeit merkt, dass es einfach nicht besser wird, ist es wichtig, dass mit dem Therapeuten oder der Therapeutin zu besprechen. Dann kann es Sinn machen, andere Möglichkeiten auszuprobieren. Das kann bedeuten, die Therapieform zu wechseln, unterstützend ein Medikament zu bekommen oder manchmal auch für eine Zeit in eine Klinik oder Tagesklinik zu gehen.

Was muss eurer Meinung nach passieren, um Berührungsängste oder Vorurteile gegenüber psychischen Erkrankungen in der Gesellschaft abzubauen?

Alena: Psychische Erkrankungen sind Volkskrankheiten. Wie schon beschrieben, erfüllt jährlich mehr als jeder vierte Erwachsene in Deutschland die Kriterien einer voll ausgeprägten Erkrankung.

Das bedeutet, dass wir alle jemanden kennen, der psychisch erkrankt ist: Eltern, Großeltern, Geschwister, Freund:innen, Arbeitskolleg:innen oder uns selbst.

Um Stigmatisierung zu bekämpfen, können wir auf vielen Ebenen etwas tun: Medienkampagnen, öffentliche Aufklärungsprogramme, Seminare und Informationsveranstaltungen, auf Webseiten und in Broschüren oder auch zielgruppenspezifische Schulungen, z.B.in Unternehmen oder in Schulen.

Was jede:r einzelne:r tun kann, ist, darauf zu achten Betroffenen möglichst offen, vorurteilsfrei, einfühlsam und wohlwollend zu begegnen – inklusive sich selber.

Wenn wir lernen über psychische Gesundheit zu sprechen, merken wir recht schnell, dass das Thema uns alle etwas angeht. Zusammenfassend: Aus unserer Perspektive ist das Wichtigste gut über psychische Erkrankungen, ihre Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten Bescheid zu wissen. So können wir Vorurteile abbauen.

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