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Jede*r von uns hat Steine im Rucksack – Ferdinand erzählt seinen Weg aus der Depression

Foto: Suliman Sallehi von pexels.com

Moderator, Musiker und Speaker Ferdinand Saalbach hat selbst Erfahrungen mit Depression gemacht. Nach einer psychoanalytischen Therapie möchte er nun anderen Menschen helfen, indem er auf seiner Website Jeder von uns hat Steine im Rucksack auf Hilfsangebote aufmerksam macht und in Büchern und Musik offen über seinen Lebensweg spricht. Für ihn steht fest: Wir brauchen einen deutlich offeneren und gesunderen Umgang mit psychischen Erkrankungen und Krisen in unserer Gesellschaft.

Altbekannte negative Gefühle

Als ich im Juni 2016 aus meiner Anstellung gekündigt wurde, funktionierte ich erstmal einfach weiter. Neben dem Aushalten der Situation und dem Bemühen, irgendetwas Neues zu finden, machten sich auch viele altbekannte Gefühle breit: Das Gefühl, nicht dazu zu gehören, zu nichts zu gebrauchen zu sein und irgendwie auch überhaupt keine Lust auf das alles zu haben. Schlussendlich auch keine Lust auf das Leben an sich – oder zumindest nicht auf dieses Leben.

Ich hielt das alles für normal. So sind die Gefühle nach einer Kündigung nun mal. Ich war diese Gefühle ja mittlerweile fast schon gewohnt. Es war schließlich meine dritte Kündigung. Nach jeder Kündigung war ich eine Position höher wieder eingestiegen. Bis das Hamsterrad zusammenbrach.

Der Anruf bei der TelefonSeelsorge

Bei mir ist das Anfang Juli passiert. Ich hatte gerade meinen Anschlussjob fix gemacht. Alles war wieder im Lot, aber meine Seele wollte das erneute „Weiter so“ nicht zulassen. Plötzlich schossen Dinge durch meinen Kopf, die ich vor langer Zeit vergraben hatte. So heftig und so laut, dass ich sie nicht mehr wegschieben konnte.

An diesem Abend rief ich die TelefonSeelsorge an und erzählte meine Geschichte. Dort wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass die Geschichte meines Lebens alles andere als normal war. Zum ersten Mal sagte mir jemand, dass es jetzt genug sei mit dem Hamsterrad und dass ich das, was mich treiben würde, aufarbeiten müsste, wenn ich nicht komplett vor die Hunde gehen wollte.

Der Schritt zur Therapie

In den nächsten Wochen und Monaten erlebte ich viele frustrierende Momente, aber auch viele, die mir Hoffnung gaben. Ich suchte nach Therapeuten und erlebte Verständnis, aber auch Ablehnung. Ich lernte, dass es Kraft und Durchhaltevermögen braucht, wenn man sich seinen inneren Dämonen stellt.

Aber mit jedem neuen Erstgespräch beim Therapeuten, mit jedem nochmal erzählen meiner Geschichte, mit jeder Reaktion darauf, wurde mir bewusster, dass mit dem, was ich mit mir herumtrug, nicht zu spaßen war.

Über die ersten Therapiesitzungen wurde mir bewusst, dass meine Eltern mich als Kind hatten verwahrlosen lassen. Die Selbständigkeit und Eigenverantwortung, die ich mir immer selbst hoch angerechnet hatte, waren in Wahrheit das zwangsläufige Ergebnis der unfassbaren Nachlässigkeit und Verantwortungslosigkeit meiner Eltern, die ich in der Therapie aufarbeiten konnte.

Gestalter meines Lebens bin ich

Dass ich im Juli 2016 zusammengebrochen bin, betrachte ich aus heutiger Sicht als großes Glück. Denn ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn mein Leben in dieser Form weitergegangen wäre. Was ich aber seitdem erlebt habe, war eine immer größer werdende Befreiung. Ich habe gelernt, wie sich wahre Freiheit anfühlt. Ich habe ein Verständnis davon bekommen, was Lebenslust ist und ich habe begonnen, mein Leben selbst zu gestalten.

Heute arbeite ich selbständig als Moderator, Musiker, Autor und Vortragsredner. Ich tue das, was ich schon immer tun wollte. Und nicht das, von dem mir eingeredet wurde, dass ich es tun sollte. Ich lebe mein Leben und nicht das eines anderen.

Heute weiß ich, dass das, was ich in meiner Kindheit erlebt habe, traumatisch war. Ich weiß, dass ich deswegen über Jahre schwer depressiv war. Ich weiß, dass es die Lebensfreude, mit der andere Menschen durchs Leben gehen und die Selbstverständlichkeit, mit der sie auf andere Menschen zugehen, für mich nie gab.

Aber ich habe das immer als „Jeder fühlt sich mal traurig“ abgetan. Mein „Traurig“ kann allerdings eine depressive Episode bedeuten. Da ich das heute weiß, kann ich daran arbeiten.

Die psychoanalytische Therapie, die ich gemacht habe, hat das Ungleichgewicht im heutigen Leben in Bezug gesetzt zu dem, was mir als Kind widerfahren ist. Sie hat die Dinge gerade gerückt, die damals schief in mich eingepflanzt wurden. Dadurch, dass ich immer mehr verstanden habe, dass es nicht in Ordnung war, was meine Eltern damals mit mir gemacht haben, wurden die Lebensunlust und die Depression langsam aus meinem Leben vertrieben.

Meine Geschichte habe ich aufgeschrieben

Meine Geschichte habe ich in einem Buch aufgeschrieben. Detailreich, intim und intensiv, weil ich die Komplexität der Dinge darstellen möchte. Ich möchte zeigen, wie verworren und undurchsichtig das alles war, was sich mir entgegengestellt hat. Wie lange es gedauert hat und wie mühevoll es war, diese Dinge eines nach dem anderen auseinanderzubauen, zu verstehen und damit umgehen zu lernen. Welche Umwege dafür für mich notwendig waren. Wie schwer es war, den für mich richtigen Weg zu erkennen.

Und wie schwer es auch heute noch ist, auf diesem Weg zu bleiben. Aber auch, wie lohnenswert es ist, auf diesem Weg zu bleiben. Ich möchte damit anderen Menschen Anknüpfungspunkte bieten. Sicherlich hat niemand exakt meine Geschichte genau so erlebt. Aber vielleicht gibt es Parallelen, vielleicht gibt es Aspekte, in denen man sich wiederfindet. Und vielleicht kann meine Geschichte da etwas aufklären, was vorher verworren schien.

Therapie kann heilen

Ich bin der Meinung, dass eine analytische Psychotherapie Depression und Suizidalität in vielen Fällen heilen kann. Es ist ein langer und anstrengender Weg und es wird nicht für jeden gleich funktionieren.

Aber ich möchte ein Beispiel dafür sein, dass es Wege gibt, die eine bessere Zukunft versprechen. Ich möchte Hoffnung machen, dass es besser werden kann und dass eine Depression nichts Unheilbares ist, was einen unweigerlich bis an den Rest des Lebens begleiten wird.

Auf meinem Weg habe ich auch frustrierende Erfahrungen gemacht. Viele Hilfsangebote habe ich erst im Laufe meines Weges kennengelernt und mir hat – gerade zu Beginn – viel Wissen darüber gefehlt, wie Psychotherapie funktioniert, welche Ansprüche ich haben darf und welches Vorwissen nötig ist, um eine gute Entscheidung für sich selbst zu treffen.

Ich hätte mir all diese Informationen früher gewünscht. Aus diesem Grund habe ich eine Website gebaut, auf der ich alles zusammengetragen habe, was ich für wichtig halte und hoffe, dass diese Seite dem ein oder anderen dabei hilft, sich Hilfe zu holen.

Denn jeder von uns hat Steine im Rucksack. Aber wir alle haben die Chance, unseren Rucksack abzusetzen und hinein zu blicken. Auch und gerade mit Hilfe von außen, wenn sie nötig ist.

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