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Everybody dies in their Nightmares – Wie die Schülerin Luzi während der Pandemie an einer Depression erkrankte

Bild: Engin Akyurt von pexels.com

Luzi ist 14 Jahre alt und im ersten Lockdown an einer Depression erkrankt. Aus einem Schulprojekt heraus ist dieser text entstanden, in dem sie ihre Gedanken und Gefühle niedergeschrieben hat. Mittlerweile geht es ihr besser und sie möchte Betroffene und Angehörige wissen lassen: Redet darüber. Ihr seid nicht alleine.

Warum bin ich überhaupt aufgestanden?

Ich wache nach einer von Angst geprägten Nacht auf. Scheiße schon 12:00 Uhr. Habe ich 12 Stunden geschlafen und habe trotzdem keine Kraft? Ich stehe auf und schleppe mich müde in die Küche. Da kommt die erste Herausforderung: Guten Morgen sagen und halbwegs gute Laune ausstrahlen bzw. auf keinen Fall die innere Leere, die einen zerreißt. Vielleicht schieben sie es ja auf die Pubertät.

Nach einem gezwungenen und schmerzhaften „Es geht mir gut und und ich habe gut geschlafen“ mit anschließendem „Lächeln“ geht es mit einem Kakao zurück ins Bett. Durchatmen. Da ist er, der erste Gedanke: „Warum bin ich überhaupt aufgestanden, es ist doch eh alles sinnlos“.

Nach zwei Stunden Gehirn mit Insta, WhatsApp, TikTok wegballern, ziehe ich nach einer Woche mal eine neue Jogginghose an, hole mir ein Kinder Pingui und drehe die Musik auf. Eminem rappt meinen Kopf so zu, dass ich endlich nichts mehr höre. Taub. Endlich weg von diesem komischen inneren Schmerz, der mich jetzt schon wieder den ganzen Tag zerreißt.

Es wird Abend und ich sitze verstummt am Esstisch. Gott, Hauptsache es redet keiner mit mir. Mein Blick schweift auf die Zeitung. Irgendwas mit Corona. Was auch sonst. Mein Blick geht einen Artikel nach unten: „Geisterspiele – leeres Stadion” steht da. Ein Moment, in dem ich vor Wut kotzen könnte. Wieso? Als ob Fußball jetzt wichtig ist, wenn wir eh alle sterben? Wofür machen die das überhaupt? Für Geld? Da sterbe ich doch lieber, das macht vielleicht mehr Sinn, naja eigentlich macht alles mehr Sinn als mein Leben!

Als ich hoch schaue, sehe ich, wie meine Eltern mich ansehen – so wie ich jemanden ansehe, der in der Bahn ohne Schuhe rumläuft. Sobald mein Teller halbwegs leer ist, stehe ich auf und geh in mein Zimmer in mein Bett. Drei Stunden Netflix, jetzt ist es 1:00 Uhr. Alle schlafen. Stille. Auf einmal merke ich, wie schlecht ich Luft bekomme, wie unter Wasser. Mein Kopf spielt verrückt. Tod? Oder ist Leben besser? Schule? Alles sinnlos und scheiße.

Zu viel, was mir gerade den Atem raubt. Ich bin alleine. Allein in meinem Zimmer. Alleine wach. Allein in meinem Kopf. Alleine mit der Angst. Dann wird der Schmerz so groß, dass ich nicht mehr schreien könnte. Ich krampfe mich zusammen, drücke mich in mein Kissen, doch es passiert nichts. Ich fange an zu zittern, mein Herz rast und eine Träne läuft mir über die Wange und ich starre einfach ins Leere und bete, dass es aufhört.

Step by step durchs Jahr

Das ist mein Alltag für circa ein bis zweieinhalb Monate, bis ich mich dazu entscheide, meinem Vater zu sagen, dass etwas nicht stimmt, dass ich glaube, dass ich Depressionen habe.

Einen Monat später – wir haben jetzt Juni 2020 – habe ich meine ersten fünf Therapiestunden hinter mir mit der Diagnose Depression und Anpassungsstörung.

Es wird Sommer. Ich lerne neue Leute kennen und verbringe den Sommer zwischen stechenden Gerüchen am Friesenplatz, einer unverschämt teuren Spezi vom Kiosk und heißem kaputten Beton unter meinen Füßen. Endlich geht’s mir etwas besser.

Dann kommt der Herbst. Die Schule stresst und es ist, als hätte mich der Wind zusammen mit dem herbstlich braunen Laub zurück in das dunkle Loch geweht. Im Oktober erhöhen wir auf zwei Therapietage pro Woche. Ich gehe nur drei Tage in der Woche zur Schule und das auch erst ab der ersten großen Pause.

Mein soziales Leben besteht aus den Instagram-Livestreams meiner Mitschüler:innen und einer Folge “Modern Family”, die ich mit meinen Eltern schaue. Die Stimmung zu Hause ist erstickend und ich frage mich, ob abgesehen von meiner Oma, die mich für jedes WhatsApp Profilbild lobt, noch jemand stolz auf mich ist.

Jetzt ist Winter. Verzweifelt klammere ich mich an Weihnachten und hoffe, wenigstens für einen Abend wieder glücklich – zumindest nicht mehr voll Angst und Trauer – zu sein.

Der Song Everybody dies in their nightmares

„Everybody dies in their nightmares“ ein Song von XXXTENTACION – er hat recht: Jeder stirbt in seinen Albträumen, aber mein Kopf verwandelt sich in den schlimmsten Albtraum meines Lebens und ich sterbe. Jeden Tag ein kleines Stück mehr.

Es ist hart, in einem Körper zu überleben, mit einer Seele, die sich damit abgefunden hat zu sterben. Es ist wie ein Schleier, der es einem unmöglich macht, glücklich zu sein oder Freude zu sehen. Es sind diese erstickenden Gedanken, mit denen du aufwachst, die dir das Gefühl rauben, wichtig zu sein oder einen Sinn zu ergeben. Es sind die Gedanken, die dir sagen „Gib auf. Das wäre so viel leichter.“

Nach einem Jahr Depression ist es jetzt März 2021. Ich gehe nach einer Woche Online- Unterricht mit nur eine Therapiestunde pro Woche zum Training. Auf dem Weg höre ich nach längerer Zeit wieder das Album „17″ von XXXTENTACION. Nach dem Song „Everybody dies in their Nightmares“ lächele ich. Und zwar richtig.

Mein Umgang mit dem dunklen Schleier

Ich weiß jetzt, dass der dunkle Schleier zu mir gehört, aber er ist nicht mehr das, was ich bin. Er wird wiederkommen, davon bin ich überzeugt, aber nicht mit Fackeln und Geschrei über mir einbrechen. Er wird vielleicht angetappst kommen wie ein alter Freund und mir auf Schulter tippen.

Jeder von uns hat diesen Schleier. Einige kennen ihren gut und haben schon oft gegen ihn gekämpft. Andere lernen ihn gerade kennen und finden keinen Ausweg.

Redet darüber!

Aber egal wie lange und wie oft und in welcher Form er da ist, wir haben ihn alle und darüber sollten wir reden. Und zwar jetzt.

Wenn ihr jemanden kennt, der gerade unter seinem Schleier erstickt – vielleicht auch ausgelöst durch Corona – sprecht mit ihm oder ihr. Und wenn ihr selbst diese Person seid, versucht es. Versucht darüber zu reden, egal wie. Es lohnt sich.

Die meisten Menschen, die ich kenne, haben eine Therapie oder einfach reden geholfen. Gesteht euch ein, wie ihr euch fühlt und redet darüber! Ihr seid nicht alleine.

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