0800 – 111 0 111
TELEFONSEELSORGE
Sorgen teilen. Anonym.
Täglich. Rund um die Uhr.

116 111
KINDER- UND JUGENDTELEFON
Nummer gegen Kummer. Anonym.
Mo-Sa. 14-20 Uhr erreichbar.

Soforthilfe

Zoom-Fatigue – Wie Videokonferenzen unser Stresslevel erhöhen

Bild: Anna Shvets von Pexels

Sven Steffes-Holländer ist Chefarzt der Heiligenfeld Klinik Berlin, Facharzt für Psychosomatische Medizin & Psychotherapie sowie Berater im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Was sich hinter dem Begriff Zoom-Fatique steckt und was man dagegen tun kann, erklärt er in diesem Beitrag.

Online kommunizieren

Der Inzidenzwert in Deutschland sinkt täglich und durch immer mehr Freiheiten kehrt das Leben allmählich in den vermissten Ausgangszustand zurück. Schulen und Universitäten kehren Schritt für Schritt in den Präsenzunterricht zurück – ein Zustand, dem sowohl Schüler:innen, Studierende als auch Lehrer:innen und Dozent:innen mit gemischten Gefühlen begegnen.

Unabhängig der Vor- und Nachteile des Arbeitens und Lernens von Zuhause ist davon auszugehen, dass weiterhin Vorlesungen, Seminare und auch private Gespräche per Videokonferenz geführt werden.

Diese eindimensionale und für uns Menschen eher unnatürliche Art der Kommunikation führte bereits in den letzten Monaten zu einer Zunahme der „Zoom-Fatigue“, benannt nach dem Softwareunternehmen Zoom und dem französischen Wort für Müdigkeit.

Erst effizient, jetzt ermüdend

Spätestens seit dem zweiten Lockdown wurden Online-Vorlesungen und Home Schooling als flächendeckende Maßnahme zur Kontaktreduzierung eingesetzt.

Dies erschien zunächst für viele verlockend: Eine vermeintlich bessere Vereinbarkeit von Studium und Arbeit, keine langen Anfahrtswege, kein Dresscode und mehr Selbstbestimmung in der Zeiteinteilung.

Auch viele Lehrer:innen und Dozent:innen sahen den Schritt zunächst positiv: mehr Selbstbestimmung und Autonomie für beide Seiten.

Doch Studium, Arbeit und Freizeit zuhause mit ständiger digitaler Kommunikation über einen Bildschirm schlägt bei vielen in eine schleichende Belastung mit Langzeitfolgen um, dessen Symptome sich körperlich und psychisch zeigen können.

Wie sich Zoom-Müdigkeit zeigt

Dieses Phänomen wurde inzwischen in verschiedenen Studien nachgewiesen, darunter in einer vom Institut für Beschäftigung und Employability (ibe) in Ludwigshafen unter Leitung von Prof. Dr. Jutta Rump.

Im Rahmen einer Befragung vom Dezember 2020 berichteten 62,4 Prozent von Zoom-Müdigkeit,  während 70 Prozent davon fehlende nonverbale Hinweise in Videotelefonaten als
Belastungsfaktor identifizierten.

Typische Symptome sind:

  • abnehmende Konzentrationsfähigkeit
  • Fahrigkeit
  • Ungeduld
  • erhöhte Reizbarkeit
  • vermindertes Selbstwertgefühl
  • Kopf-, Glieder-, Rücken- und Magenschmerzen
  • Schlaf- und Sehstörungen

Reizüberflutung und Spiegelangst

Einige Dinge fanden bereits vor der Pandemie online statt, wie der E-Mails oder das Teilen von Informationen auf Social Media, der persönliche Kontakt war jedoch deutlich intensiver und spürbarer.

Denn die Dosis macht das Gift: Die unzähligen Video-Konferenzen am Tag, die statt einem kurzen Gang immer nur einen Klick entfernt sind, wirken sich erschöpfend und ermüdend aus.

Ein Videocall wird im Vergleich zum klassischen Telefonat vom Gehirn als Reizüberflutung wahrgenommen. Anstatt sich nur auf das gesprochene Wort zu konzentrieren, ist der kognitive Anspruch viel höher, da man sich zusätzlich auf das Bild der Gesprächspartner:innen konzentrieren muss.

Nonverbale Hinweise wie Mimik und Gestik werden in diesem Zuge weniger gut vom Gehirn erkannt und eingeordnet, da die Person nur von den Schultern nach oben wahrgenommen wird.

Unser Gehirn ist also permanent damit beschäftigt, unser Gegenüber zu entschlüsseln, was inneren Stress auslöst. Das Problem vervielfacht sich bei Anrufen mit mehreren Personen, da dabei viele Menschen gleichzeitig entschlüsselt werden müssen.

Nach einem Zoom-Gespräch erleben manche das irritierende Gefühl, ausgelaugt zu sein, ohne etwas erreicht zu haben. Aber nicht nur das ständige Anschauen des Gegenübers erschöpft die Psyche, auch konstant das eigene Spiegelbild zu sehen, stellt einen Stressfaktor dar.

Insbesondere Frauen leiden unter der sogenannten „Spiegelangst“. Selbst bei Menschen, die ein gesundes Körperbild besitzen, macht sich schon nach 10 Minuten genauer Betrachtung des eigenen Aussehens Anzeichen von Beklemmung bemerkbar.

Die ständige Reflexion der eigenen Erscheinung irritiert sowohl selbstsichere als auch selbstkritische Persönlichkeiten.

So kann eine gesundheitsfördernde Unterrichtskultur vorbeugen. Damit es nicht zur Erschöpfung kommt, sollte das Wohlbefinden auch jenseits von Krisenzeiten von Lehrenden gefördert werden, etwa durch ein regelmäßiges Fragen nach Bedürfnissen, wo Schüler:innen und Studierende vielleicht Unterstützung brauchen.

Eine Einbindung in Entscheidungsprozesse kann zudem auch Motivation und Effizienz erhöhen. Die Anzahl an täglichen Videomeetings sollte beschränkt werden, Möglichkeiten für Telefongespräch sollten angeboten werden.

Es macht Sinn, bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten und die Mittagspause abseits des Bildschirms, bestenfalls draußen zu verbringen.

Tipps zur Vorbeugung und Linderung von Zoom-Fatigue

  • Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen (autogenes Training, Meditation, Atemübungen,
    Yoga, Body Scans)
  • Abklären, ob der Videocall auch ohne Kamera erfolgen kann
  • Zweiten Bildschirm und externe Tastatur mit Maus für Laptop
  • Mittagspause abseits des Bildschirms verbringen: z.B. kurze Radtour oder Spaziergang
  • 40-15-5 Regel: 40 Minuten sitzen, 15 Minuten stehen, fünf Minuten bewegen
  • Routinen schaffen und den Tag organisieren
  • Feedback von anderen Teilnehmer:innen erfragen
  • Gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung (bewegte Pausen)
nach oben