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Thermotherapie bei Depression: Was Elli geholfen hat, als nichts mehr half

Foto: Anastasiya Vragova von Pexels

Elli weiß mittlerweile, dass die Psyche nicht nur im Kopf stattfindet. Sie hatte selbst mit Depressionen zu kämpfen und teilt auf ihrem Blog Understandingly ihre Erfahrungen rund um Mind-Body-Connections. Hier gibt sie einen Einblick, wie ihr Thermotherapie geholfen hat.

Noch ein Schritt

Noch ein Schritt, und ich stehe bis zur Taille in eiskaltem Wasser. An den Füßen spüre ich den weichen Sand, in den ich langsam einsinke, aber ich weiß: Bald wird auch dieses Gefühl verschwinden.

Die Haut an meinen Beinen wird auf eine sanfte, schmerzlose Art taub werden; mein Herz wird kurz stolpern, und ab dem Moment, in dem ich mich ganz in die Fluten gleiten lasse, werde ich mich nur noch auf einzelne Details fokussieren:

Lichtreflexe in der Wasseroberfläche, Laub, das an mir vorbei treibt; ich werde hektisch atmen, und es wird sich anfühlen, als wäre eine große Welle über mich hereingebrochen, und würde mich mit sich ziehen. Noch ein Schritt. Ich wehre mich nicht, weil ich weiß, was auf der anderen Seite wartet.

Es ist November, die Sonne bricht sich durch die Wolken, und ich schwimme gerade in einem Fluss. Wenn ich mich nach ein paar Minuten an die Kälte gewöhnt habe, ist es das großartigste Gefühl, das ich kenne: ein reines, blendendes High.

Eines, das mich noch Stunden danach das Leben schön finden lässt; das mir plötzlich alles sinnvoll erscheinen lässt; und eines, von dem ich heute immer noch das Gefühl habe, dass es mich gerettet hat.

Wild Swimming im Winter – wie ich dazu kam

Ich habe mit dem Schwimmen in natürlich kalten Gewässern (oder Wild Swimming im Winter, wie ich es nenne) in der depressivsten Phase meines Lebens begonnen; mehr aus Reflex als aus einer Überlegung heraus.

Damals stand ich unter der Dusche und spürte plötzlich den (für mich relativ unerklärlichen) Impuls, das Wasser auf kalt zu drehen. Ich gab ihm nach, merkte, dass die Muskelschmerzen, die ich davor monatelang gehabt hatte, besser wurden – und hatte zum ersten Mal seit Langem kurz wieder das Gefühl, lebendig zu sein.

Ich wollte mehr davon. In den nächsten Tagen und Wochen arbeitete ich mich von einer anfangs nur wenigen Sekunden langen kalten Dusche zu ein paar Minuten vor, nahm ein kaltes Bad in meiner Badewanne, und fühlte mich schließlich bereit für den Fluss.

Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass ich es so sehr lieben würde. Und ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass es meine Stimmung so nachhaltig aufhellen würde, in einer Zeit, in der ich mich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, dass mir jemals etwas gefallen hatte.

Gesprächstherapie hatte ich (über einen längeren Zeitraum und bei verschiedenen Therapeut*innen mit unterschiedlichen Ausrichtungen) ausprobiert, allerdings ohne mich auch nur irgendwie besser zu fühlen.

Und hier, beim Wild Swimming, bei etwas, das scheinbar gar nichts meiner Psyche zu tun hatte: unmittelbarer Effekt, längerfristige Wirkung.

Wenn man über psychische Gesundheit spricht, redet man meistens über kognitive Ansätze. Aber es gibt gute Gründe, auch über den Körper zu reden!

Ich möchte auf keinen Fall behaupten, dass Gesprächs-Therapien nichts bringen. Mir haben sie eben nicht geholfen. Vielen anderen helfen sie sehr!

Auch habe ich nicht vor, dich sofort in einen Fluss zu schubsen. Vielleicht findest du die Idee schon grauenhaft, in kaltem Wasser zu schwimmen; oder du hast gesundheitliche Probleme, bei denen man aufpassen muss, bevor man sich in sehr kaltes Wasser begibt (Herzkreislauf-Probleme, Venenschwäche oder noch andauernde
oder eben erst durchgemachte Infekte).

Aber worauf ich sehr gerne aufmerksam machen möchte: dass es durchaus sinnvoll sein kann, an körperlichen Mechanismen anzusetzen, wenn man sich psychisch nicht gut fühlt.

Deswegen habe ich angefangen, darüber zu bloggen auf  Understandingly – dein Blog über die Macht von Mind-Body-Connections.

Depressionen sind in vielen Fällen ein multifaktorielles Geschehen, es kommen also meistens viele Dinge zusammen, darunter z.B. erlebte Traumata, psychosozialer Stress, genetische Veranlagung, aber eben eventuell auch: Nährstoffmängel, Krankheiten, Nebenwirkungen von Medikamenten.

Falls beispielsweise ein Nährstoffmangel vorliegt, scheint es naheliegend, dass körperliche Interventionen die Symptome einer Depression verbessern können.

Aber: Selbst wenn die Ursache der Depression nicht oder nicht nur körperlich ist, lässt sich die seelische Balance manchmal trotzdem durch körperliche Interventionen wiederherstellen – einfach, weil Körper und Seele so eng zusammenhängen.

Mind-Body-Connections: Warum ich es wichtig finde, sie mehr in den Fokus zu rücken

Grund Nr. 1: Sie können dich unterstützen, wenn du auf einen Therapieplatz wartest (oder begleitend zur Therapie. Oder einfach so.)

Ich finde es allein deswegen wichtig, mehr über die Verbindungen von Körper und Geist zu wissen, weil man, wenn es einem richtig schlecht geht, vielleicht nicht die Energie hat, so viele Therapeut*innen auszuprobieren, bis es „passt“.

Abgesehen von den oft langen Wartezeiten; und abgesehen davon, dass Gesprächstherapie vielleicht wirklich nicht so viel bringt, wenn z.B. körperliche Ursachen hinter den depressiven Symptomen stecken – was man auf jeden Fall ausschließen  assen sollte.

Ich habe damals jedenfalls zeitnah etwas gebraucht, das mir zeigt, dass ich diesen lähmenden Zustand durchbrechen kann, und dass noch etwas anderes auf mich wartet; etwas, das ich wieder schön finden kann; dass es sich überhaupt lohnt, für irgendetwas zu kämpfen.

Grund Nr. 2: Weil damit auch körperliche Ursachen und Risikofaktoren für Depressionen hoffentlich mehr Beachtung finden.

Und noch aus einem zweiten Grund finde ich es wichtig über Mind-Body-Connections besser Bescheid zu wissen: weil es nämlich oft übersehen wird, wenn körperliche Faktoren depressive Symptome verursachen oder verstärken.

Disclaimer: Wenn du Beschwerden hast, empfehle ich dir, medizinisches Fachpersonal zu konsultieren. Ich recherchiere sehr genau, aber die hier bereitgestellten Informationen stellen keine Handlungsanweisung dar und dienen auch nicht der Selbstdiagnose, sondern der weiterführenden Diskussion meines Beitrags bzw. spiegeln eigene Erfahrungen wider.

Bei mir lag zum Beispiel ein Vitamin-D-Mangel sowie Eisenmangel ohne Anämie vor (normaler Hb-Wert bei zu niedrigem Ferritin, also zu wenig Speichereisen). Als ich den Ferritinwert wieder nach oben korrigiert hatte, hat sich mein Lebensgefühl und Energielevel noch einmal unglaublich gesteigert. Hier kannst du zum Thema Eisenmangel und Depression nachlesen. 

Achtung: Wenn du zu deinem/deiner Ärzt*in gehst und sie bittest, ein Blutbild von dir zu machen, kann es sein, dass der Ferritin-Wert nicht standardmäßig mit abgefragt wird.

Solltest du also Grund zur Annahme haben, dass bei dir ein latenter Eisenmangel vorliegen könnte, solltest du das mit deinem/deiner Ärzt*in besprechen.

Ich habe auf meinem Blog übrigens den approbierten Verhaltenstherapeuten, Neuropsychologen und Professor für Neurowissenschaften an der Medical School in Hamburg, Dr. Erich Kasten, zum Thema körperliche Ursachen von Depressionen interviewt.

Er hat sich als einer der wenigen ausführlich mit dem Thema beschäftigt und darüber ein Buch geschrieben: „Somatopsychologie“. Im Interview gibt er u.a. Tipps, welche Werte man bei Depressionen überprüfen lassen sollte, das ihr hier nachlesen könnt. 

Thermotherapien (Wärmetherapie oder Kryotherapie): Warum sie gerade bei Depressionen so vielversprechend sind

Für mich war jedenfalls die Idee, mich regelmäßig großer Kälte auszusetzen, die beste, die ich jemals hatte; das, was mir damals in meiner depressiven Phase am meisten geholfen hat; und wenn man beachtet, dass ich davor eine der verfrorensten Personen auf dieser Welt war, eigentlich das Unwahrscheinlichste, was Hilfe versprechen würde.

Jetzt, im Nachhinein und einige Monate Recherchen später, denke ich nicht mehr, dass es ganz so unwahrscheinlich war.

Denn wie man seit den 1890ern (kein Tippfehler!) weiß und in modernen Studien zuverlässig reproduzieren konnte, ist bei den meisten Menschen mit Depressionen die Körperkerntemperatur erhöht – zwar nicht derart erhöht, dass es als Fieber gelten könnte, aber trotzdem so signifikant erhöht, dass die Werte sich von „Gesunden“ deutlich unterscheiden, vor allem, wenn man sie im Tagesverlauf betrachtet.

Was man ebenfalls weiß: Wenn es gelingt, die Körperkerntemperatur an ein normales Level anzupassen, verbessern sich die Symptome der Depression.

Das konnten in der Zwischenzeit einige Studien zeigen. Sie arbeiteten – so paradox es zunächst klingen mag – mit Wärme gegen die erhöhte Körpertemperatur an, schickten die Proband*innen z.B. in die Sauna oder unterzogen sie einer Infrarot-Wärmetherapie: mit sehr guten Ergebnissen.

Wenn du dich dafür interessierst, schau bei meinem Artikel: „Wärme und Depressionen: 3 spannende Zusammenhänge – und wie du Wärmetherapien für dich nutzen kannst“ vorbei.

Ich habe die Vermutung, dass auch bei meinen kalten Schwimmabenteuern die Senkung der Körpertemperatur eine Rolle spielen könnte, denn durch den Kontakt mit dem kalten Wasser wird die Durchblutung der Haut angeregt und so längerfristig über die Haut mehr Wärme an die Umgebung abgegeben.

Das habe ich vom Winterschwimmer und ehemaligen Leiter der Abteilung Naturmedizin an der Hufeland-Klinik Bad Ems, Dr. Rainer Brenke, erfahren.

Aber natürlich wirkt Kälte auch auf andere Weise positiv im Körper: Sie kann z.B. auch gegen Entzündungen im Körper, bei Schmerzen oder Auto-Immunerkrankungen hilfreich sein. (Deswegen wird Rheuma-Patient*innen oft ein Aufenthalt in einer Kältekammer oder Kältesauna verschrieben.)

Und nachdem die Rolle von Low-Level-Entzündungen bei Depressionen auch immer mehr in den Fokus gerückt ist, kann man, glaube ich, getrost konstatieren, dass Dinge, die gut für unser Immunsystem sind, sich vermutlich auch positiv auf psychische Prozesse auswirken.

Verliere nicht die Hoffnung – es gibt vieles, was du wahrscheinlich noch nicht ausprobiert hast!

Diese Zeilen schreibe ich vor allem für die, denen es jetzt so geht wie mir damals, und denen es durch Psychotherapien einfach nicht besser geht: Ihr seid nicht alleine und es ist nicht eure Schuld, wenn das für euch nicht funktioniert, was einem immer (und oft: als einzige Möglichkeit) empfohlen wird.

Dass einem genau das oft zurückgespiegelt wird (dass man sich nicht genug „anstrengt“ oder „noch mehr an sich arbeiten sollte“), halte ich für ein Zeichen dafür, wie sehr psychisch Kranke immer noch stigmatisiert werden – in diesem Fall sogar doppelt.

Außerhalb der Therapie, weil man zur Therapie geht, und innerhalb der Therapie, weil man nicht darauf anspricht und das dann nicht nur als Nicht-Passung von Behandlung und Klient*in gedeutet wird, sondern oft genug als „Versagen“ des Patienten bzw. der Patientin.

„Es geht dir mit einer Therapie nicht besser? – Muss an dir liegen.“ Diese Art der doppelten Stigmatisierung ist fatal, denn letztens Endes suggeriert sie auch: Der betroffenen Person kann nicht mehr geholfen werden.

Dabei gibt es einiges, was man versuchen kann, um seine psychische Balance wiederherzustellen. Zum Beispiel eben seinen Arzt/seine Ärztin bitten, ein ordentliches Blutbild zu machen, mit besonderem Fokus auf alles, was Erschöpfung und Verstimmungen begünstigen könnte.

Kleine Mind-Body-Hacks in den Alltag einbauen, die mehr Entspannung oder mehr Energie bringen

Gewichtsdecken für Entspannung, beispielsweise, oder Tageslichtlampen für mehr Energie. Manchmal können kleine, aber konsequente Veränderungen viel bewirken.

Ich kann auch Wärmetherapie sehr empfehlen (auch wenn ich selbst eher im „Team Kälte“ bin). Die Studienergebnisse, die ich bislang gelesen haben, waren wirklich beeindruckend.

Übrigens: An der Charité in Berlin läuft, in Kooperation mit dem Immanuel Krankenhaus, gerade eine weitere Studie zur „Infrarot Wärmetherapie bei Depressionen“ – und es werden noch Teilnehmende gesucht.

Auch eine Selbsthilfegruppe fand ich enorm hilfreich. Vor allem hat mir persönlich aber wirklich geholfen: meine Mind-Body-Connections für mich zu nutzen, und endlich mit mir zu arbeiten statt gegen mich.

Denn wenn ich heute eines weiß, dann das: Deine Psyche findet nicht nur im Kopf statt.

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