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Weiterleben nach Schicksalsschlägen: Herausforderung angenommen

Katharina Afflerbach (44) erlebte vor sechs Jahren einen Schicksalsschlag, als ihr Bruder Florian am 05. Mai im Alter von 35 Jahren bei einem tragischen Unfall überfahren wurde. Durch ihre eigene Schmerz- und Trauererfahrung wurde die SPIEGEL Bestsellerautorin neugierig und wollte herausfinden, wie es anderen Betroffenen gelang, wieder Mut und Zuversicht zu finden, auch wenn Menschen sich in dieser schweren Zeit von ihnen abwenden. „Wir brauchen mehr Mitgefühl füreinander, viel viel mehr, dafür trete ich an“, sagt sie. Hier berichtet sie von ihren Erfahrungen.

 

Es ist November. Es ist kalt und nass und an manchen Tagen ist der Nebel so dick, dass ich keine Ahnung habe, wo die Sonne ist. Und ob es sie überhaupt noch gibt. Hm, das klingt jetzt nicht nur nach dem in unseren Breitengraden wahrscheinlich unbeliebtesten Monat, sondern auch nach … ja, Trauer. Ja, so war es. Ich wusste am Anfang nicht, ob es in meinem Leben jemals wieder richtig hell werden würde. Und ob mir jemals wieder warm ums Herz, so durch und durch innerlich warm werden würde. Heute weiß ich, dass es möglich ist. Anders als vorher, aber es geht! Ich kann heute wieder sagen, dass ich gerne und dass ich gut lebe. Auch wenn ich eine Narbe mit mir trage, auf die ich um jeden Preis der Welt gern verzichtet hätte.

Ich akzeptierte, dass ich jetzt die bin, deren Bruder gestorben ist. Dass es Kummer gibt, der nie mehr vergeht. Und ich entschied, wie Millionen und Abermillionen vor mir, dass ich weitermachen, weitergehen, weiterleben möchte. Herausforderung angenommen!

 

Die zwei Seiten des Trauerns: Du.

Schicksalsschläge gehen uns alle an, früher oder später und ob wir wollen oder nicht. Und trotzdem blenden wir das Thema aus, wollen nicht darüber nachdenken, dass es uns und unsere Liebsten einmal treffen könnte. Dabei gibt es vieles, das du bereits jetzt, in den „guten Zeiten“, tun kannst, um in Zeiten der Trauer und der Kraftlosigkeit darauf zurückgreifen zu können. Von den folgenden Ideen haben mir auch die Betroffenen berichtet, die mir für mein Buch „Manchmal sucht sich das Leben harte Wege“ von ihrem Schicksalsschlag und ihrem Weg der Verarbeitung und Heilung berichtet haben.

 

Dir inneren Halt schenken

Wenn du in deinem Leben etwas hast, das dir innerlich Halt gibt, kann dich dies möglicherweise auch dann, wenn deine Welt aufgrund eines Schicksalsschlags aus den Fugen gerät, halten und tragen. Das kann ein Mantra sein, das dich begleitet, oder ein Glaube, wie auch immer dieser für dich aussieht. Vielleicht ist es auch die Stille, in der du dich sicher und geborgen fühlst.

 

Dich kräftigen 

Genauso verhält es sich mit etwas, das dich stärkt, ob mehr den Körper oder mehr den Geist. Wer zum Beispiel regelmäßig Sport macht, findet nach einem Trauerfall möglicherweise wieder schneller zurück in die Bewegung, das Auspowern tut gut, baut Stress ab und unterbricht das Gedanken- und Gefühlskarussell.

 

Eine gute Freundin, ein guter Freund sein 

Sei in guten Zeiten die Freund:in, die/den du gern an deiner Seite hättest, wenn es dir einmal schlecht geht. Das, was du gibst, wird zu dir zurückkehren, wenn du es brauchst. In der Zeit der Not wird es schwierig sein, Freundschaften aufzubauen, zumal du dann nicht die Kraft dafür hast. Dann brauchst du einfach sofort Hilfe, wie wenn du im Notfall die 112 wählst.

 

Die andere Seite des Trauerns: die Menschen um dich herum.

»Oje, das hört sich gar nicht gut an. Aber du bist eine Powernudel, Kopf hoch! Bei uns ist es im Moment auch katastrophal. Christoph versumpft in Arbeit, Tom pubertiert und Emilia ist ständig krank.« Das ist die WhatsApp einer Bekannten an Katja, nachdem Katja innerhalb kürzester Zeit ihre Mutter, ihren Bruder und ihren Vater verloren hat. Die originale Nachricht hat Katja mir auf ihrem Handy gezeigt, als wir unser Gespräch für das Buch führten. Ich bin fast vom Stuhl gefallen.

Okay, atmen wir alle gemeinsam mal tief durch.

Wie immer und überall im Leben gibt es auch im Falle eines Schicksalsschlags solche und solche Reaktionen. Liebevolle, hilfreiche, gütige, verständnisvolle, dienende – und solche, die deinem Herzen einen Dolchstoß verpassen, noch zusätzlich on top zu dem Schmerz, der dich ja sowieso gerade belastet. Das können wir nicht verhindern. Wir können jedoch unseren Umgang damit verändern.

Wir können die Hilflosigkeit sehen, die dahintersteckt. Viele Menschen wissen einfach nicht, wie sie sich Trauernden gegenüber verhalten können. Und viele Menschen sind nicht dazu in der Lage, dem Schmerz von anderen in die Augen zu blicken.

Lass uns versuchen, nicht zu werten. Wir wissen nicht, was die anderen Menschen alles durchlebt und durchlitten haben.

Vielleicht versuchen sie einfach nur, sich selbst zu schützen, damit alte Wunden nicht wieder aufplatzen.

Lass uns daher versuchen, in unseren guten Zeiten auf andere zuzugehen. Lass uns versuchen, uns in sie einzufühlen und ihnen zu zeigen, dass wir ihren seelischen Schmerz sehen und anerkennen. Ja, ich weiß, bei einem eingegipsten Bein ist das viel leichter, doch lass es uns probieren! Dann sind vielleicht mehr Menschen aus unserem Umfeld dazu in der Lage, uns ihre Aufmerksamkeit und ihren Zuspruch zu schenken, wenn wir ihn brauchen.

 

Mein Plädoyer? Mehr Mitgefühl! 

Ich habe die Idee, dass wir dann, wenn es uns gelingt, uns wirklich in andere hineinzuversetzen, hilfreicher miteinander umgehen können. Besser zuhören, besser verstehen, fester halten. Deshalb danke ich dir, dass du diesen Artikel gelesen hast. Du wirst das Leben deiner Mitmenschen verändern.

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