Musik in Moll
Christoph Ziegltrum ist Redakteur für das Musikmagazin vampster.com. Er hat selbst Erfahrungen mit Depression und spricht beruflich mit vielen Musiker:innen, die ihre mentalen Probleme mit Hilfe von Musik verarbeiten. Hier erzählt Christoph davon, wie unterschiedlich dieser Umgang der einzelnen Künstler:innen mit dem Thema ist und welche Auswirkungen diese Musik auf ihre Hörer:innen haben kann:
Machen wir uns nichts vor. Musik beeinflusst unser Leben. Sind wir, was wir hören? Und werden wir vielleicht auch zu dem, was wir hören, oder holen uns melancholisch-dunkle Klänge einfach nur ab und dienen als Trostspender in schweren Stunden? So oder so, Musik hat eine unglaubliche Kraft, etwas Universelles und Rituelles durchströmt sie – wenn wir sie uns entsprechend aussuchen. Und manchmal, da scheint sie uns auszusuchen.
Wer daher nur Musik hört, um sich unterhalten zu lassen: Super. Vielleicht, ist das manchmal auch etwas leichter. Denn Musik in Moll kann verdammt anstrengend sein; nicht selten beeinflussen andere Menschen uns und unsere Stimmung mit dem, was sie erschaffen.
Sensible Musiker, sensible Hörer?
Das uralte Klischee von sensiblen Musiker:innen, die ihren Weltschmerz in die Kunst packen, ist viel zu einfach. Beispiel gefällig? Jonas Renkse, der seit gut dreißig Jahren mit seiner Band Katatonia dunkle Musik reformiert und sich zwischen Progressive Metal und Gothrock positioniert hat, kann zum Beispiel nicht kreativ sein und einen Song schreiben, wenn er gerade schlecht darauf ist, viel mehr channelt er das, was düster und schwer ist.
Die Solokünstlerin Emma Ruth Rundle hat es da nicht so leicht. Sie erzählte mir in einem Interview, dass Musik kein Spaß für sie sei, vielleicht auch, weil sie damit einen Teil ihres Lebensunterhalts bestreitet. Andere Kunstformen bringen ihr mehr Freude und schaffen es eher, dass sie ihren Kopf freibekommt. Das macht sich auch in ihren wunderbaren Songs bemerkbar. Ihre Alben, allen voran „Marked For Death“ und das aktuelle Werk „Engine Of hell“ ein Zeugnis, wie Menschen, die unter Depressionen leiden, die Musik als Ausdrucksform ihrer inneren Zerrissenheit nutzen können.
Diese Gegensätzlichkeit im Arbeitsprozess zeigt, wie unterschiedlich Musiker:innen, die sich Musik in Moll verschrieben haben, an die Arbeit herangehen. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die einen sich bis zu einem gewissen Grad selbst therapieren können, andere aber abseits davon zusätzliche Hilfe brauchen. Emma Ruth Rundle musste vor den Aufnahmen zu „Engine Of Hell“ eine Klinik aufsuchen, während Marion Leclerq, Musikerin hinter dem Ambient-Doom-Projekt Mütterlein, ihre künstlerische Arbeit als Kampf gegen den schwarzen Hund in sich illustriert. Sie schlägt dabei in dieselbe Kerbe wie die anderen Musiker:innen des Church of Ra-Kollektivs.
Wir stehen zusammen
Es ist ein Licht am Horizont. Gerade im Bereich der härteren Musik und des Undergrounds herrscht Empathie. James Spence, Keyboarder der Mathcore-Band Rolo Tomassi kennt Betroffene und findet, dass gerade im Metal- und Hardcore-Bereich das Thema Depression offener behandelt wird – in der Szene stehen die Menschen näher zusammen.
„Xuntas“, das aktuelle Album der Spanisch-Deutschen Neofolk-Band Sangre de Muerdago handelt zu großen Teilen von Verbindungen der Menschen untereinander. Die Musiker sind auch dafür, offen Gefühle auszuleben, wie Sänger Pablo C. Ursusson berichtet, der im Zuge dieses Albums um einen treuen Weggefährten offen und wunderschön trauert. Und gerade offen ausgedrückte Trauer und alle anderen, schweren Gefühlte sind immens wichtig, um Depressionen vorzubeugen.
Einar Solberg, Frontmann der Progressive Rock-Band Leprous berichtet auf dem Album „Pitfalls“ von seinen eigenen Depressionen und sorgt so dafür, dass darüber gesprochen werden kann – und wie die Reaktionen auf „Pitfalls“ zeigen, trifft er damit einen Nerv. Gerade in diesem Genre, in dem auf spielerische Perfektion abgezielt wird, ist das Offenlegen von vermeintlichen menschlichen Schwächen eine wohltuende Seltenheit.
Musiker:innen, vor allem aus dem Underground, haben es daher vielleicht doch etwas leichter über dieses Thema zu sprechen, da Musik ein Feld ist, das gut zur Reflexion geeignet ist.
Die, die das Licht suchen
Die Suche nach dem Licht in dieser Welt kann ein Leben lang dauern. Vielleicht ist das die Mission des Church of Ra-Kollektivs. Colin H. van Eeckheuve von Amenra und DehnSora alias Throane sagen, dass sie die niemals weichende graue Wolke über ihrem Haupt kennen und haben gelernt, damit zu leben. Das hält aber Amenra, die zwischen Post Metal, Sludge und Doom zu den einzigartigsten dunklen Bands des Planeten zählen, nicht davon ab, mittels ihrer Musik nach dem Licht zu suchen. Colin weiß, dass diejenigen, die von ihrer Musik runtergezogen werden, nicht richtig zuhören.
Und doch gibt es die berechtigte Frage, ob der berühmte Abgrund irgendwann in die Musiker:innen, aber auch ihr Publikum hineinschaut. So sehr wir uns verstanden fühlen, wenn wir melancholische und dunkle Musik hören, so sehr kann uns diese auch gefangen nehmen. Versteht mich nicht falsch, mir geht es genauso. Ich kann mich tagelang trauriger Musik hingeben, ohne das etwas passiert – aber auch mich kann es dann treffen, dass diese Stimmung auf mich übergreift. Daher ist es nicht nur als Musiker:in, sondern auch als Hörer:in wichtig, wach zu sein und rechtzeitig gegenzusteuern, wenn sich ein Loch auftut. Musik und Gefühl gehen oftmals Hand in Hand, aber in Klänge einzutauchen ersetzt natürlich keine Therapie. Viel mehr ist das ein Indikator, wo wir eigentlich stehen. Und das ist unglaublich wertvoll.
Wie wäre es also, wenn Künstler:innen, die uns den Weg in unser Inneres zeigen und uns helfen können, damit etwas aufzuräumen, die Wertschätzung zukommen zu lassen, die sie verdienen? Ihnen „Danke“ zu sagen, dafür, dass sie etwas in uns anrühren und uns an ihrer Reise, navigierend durch die Dunkelheit oder zum Licht hin, teilhaben lassen? Musik ist etwas so Wunderbares und Universelles, das nicht als gegeben hingenommen werden sollte.