0800 – 111 0 111
TELEFONSEELSORGE
Sorgen teilen. Anonym.
Täglich. Rund um die Uhr.

116 111
KINDER- UND JUGENDTELEFON
Nummer gegen Kummer. Anonym.
Mo-Sa. 14-20 Uhr erreichbar.

Soforthilfe

Alkohol? Nein, danke.

Foto: Simona Bednarek

Sonja Westphal litt lange unter Depressionen. Um mit den negativen Gefühlen umzugehen, griff sie dabei immer wieder zum Alkohol. Erst nach vielen Jahren und Tiefpunkten merkte sie, dass es ihr durch den Alkohol nicht besser ging, sondern dieser im Gegenteil ihre Symptome verstärkte. Hier erzählt sie von ihrer Geschichte und ihrem Weg in ein nüchternes Leben:

 

Wie alles begann

Ich behaupte, dass ich mit 22 Jahren erst relativ spät angefangen habe, Alkohol zu konsumieren. Die meisten, die ich kenne, fangen damit bereits während der Pubertät an. Bei mir fiel das mit dem Beginn des Studiums zusammen. Ich studierte damals in einer Weinanbauregion in Baden-Württemberg. Dort war es Gang und Gäbe, dass wir Wein zusammen tranken, wenn wir uns fernab der Vorlesungen mal trafen.

Da ich an einer FH studierte, war ein Pflichtpraktikum innerhalb des Bachelor-Studiengangs vorgesehen. Während des Praxissemesters arbeitete ich damals mehr als mir guttat. Vielleicht haben das Praktika, die einem Spaß machen, so an sich. Ich machte zu viele Überstunden und hatte tatsächlich auch am Wochenende Schwierigkeiten, mich von der Arbeit abzugrenzen. So sehr konnte ich mich damals mit meiner Tätigkeit dort identifizieren. Zum Ende des Praktikums hatte ich mich bereits verändert. Ich war irgendwann nur noch erschöpft und permanent gereizt. Mein Körper und meine Stimmung gaben mir damals sehr eindeutige Anzeichen, dass ich es mit dem Arbeiten übertrieben hatte. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, ob das schon eine Art Burn-Out war. Die Symptome wiesen jedenfalls darauf hin. Aber Zeit zum Abschalten nahm ich mir damals nicht.

 

Einsam im Erasmus

Nach dem Praktikum, welches ich in München absolvierte, sollte es für mich nahtlos weitergehen in mein Erasmus-Semester nach Valencia in Spanien. Das war keine Pflicht. Ich tat das freiwillig. Ich nahm schon immer alle Möglichkeiten mit, die sich mir boten, um mal im Ausland zu leben. So studierte ich für ein halbes Jahr an der Politecnica Valencia Administración de Empresas, also BWL. Doch dort angekommen, ging es mir so gar nicht gut. Über Bekannte in Deutschland hatte ich mir vorab schon ein Zimmer in einer WG organisiert. Ich schlief und schlief dort mindestens 16 Stunden am Tag über drei Wochen hinweg. Ich kannte mich gar nicht so. Draußen schien die Sonne. Ich hatte das Mittelmeer um die Ecke, aber mein Körper wollte nur ruhen und rasten. Da ich so miesepetrig gelaunt war, hatte ich auch Schwierigkeiten Anschluss zu finden, also eigentlich wie immer als schüchterne und introvertierte Persönlichkeit.

Um mich nicht einsam zu fühlen, versuchte ich mich an vielem. Ich trank, ich tanzte, ich lief. Ich tat alles, von dem ich wusste, dass es mir sonst immer geholfen hatte, um meine Stimmung aus dem Keller zu manövrieren. Meine Vorlesungspausen verbrachte ich stets am Strand und verpasste damit keine Gelegenheit mein Gesicht mal in die mediterrane Sonne zu halten. Aber der graue, nebulöse Umhang, der da in meinem Kopf feststeckte, wollte einfach nicht weg gehen.

 

Diagnose Depression

So ging das Erasmus-Semester irgendwann zu Ende und ich kehrte wieder zurück in das baden-württembergische Dorf, wo ich meine verbleibenden Kurse vom Bachelor noch abschließen wollte. Aber auf die Kette habe ich gar nichts bekommen. Ich schlief wieder unglaublich viel. Wenn ich nicht schlief, dann weinte ich, ohne den genauen Grund dafür zu kennen. Ich schaffte es morgens noch nicht mal einen Arm zu heben, wenn der Wecker klingelte. Dass ich es mal ins Badezimmer schaffte, war zu dem Zeitpunkt schon das höchste der Gefühle. Ich konnte nicht einkaufen gehen, ich konnte nicht für mich kochen, mir Müsli zubereiten, mich selbst versorgen und keine Wäsche waschen. Mit sämtlichen Alltagsaufgaben war ich maßlos überfordert.

Meine Freundinnen machten sich riesige Sorgen um mich und schickten mich zu einem Psychiater. Denn dass ich an Depressionen litt, ließ sich nicht mehr von der Hand weisen. Ich hatte sogar überlegt in eine psychosomatische Klinik dafür zu gehen. Aber die Psychiaterin vor Ort verschrieb mir bereits ein Antidepressivum, was nach drei Wochen seine Wirkung zeigte. So konnte ich tatsächlich noch einige Scheine in diesem Semester machen.

 

Leben ohne Alkohol? Unvorstellbar.

Im Beipackzettel des Antidepressivums nahm ich wahr, dass da so ein Satz stand wie, dass man während der Einnahme doch bitte auf Alkohol verzichten solle. Ich registrierte diesen Satz, aber hielt mich nicht daran. Ich wusste ja nicht, wie lange ich dieses Antidepressivum nehmen würde. Ich traute mich über Jahre hinweg nicht, es abzusetzen, weil ich nicht wollte, dass die Depression wieder ausbrach.

Aber auf den Alkohol verzichten, wollte ich zu jenem Zeitpunkt auch nicht. Ein Leben ohne Alkohol konnte ich mir nicht vorstellen. Rückblickend hätte mir damals schon bewusst sein müssen, wie sehr ich mich doch in einer Abhängigkeit zum Seelentröster Alkohol befand, mein guter Freund in allen Lebenslagen, mein Weltverbesserer. Dass aber mein regelmäßiger Alkoholkonsum die Ursache meiner Depression sein könnte, auf diese Idee bin ich damals nicht gekommen. Heute weiß ich, dass zwischen Alkoholsucht und Depressionen eine Komorbidität, also eine Art Co-Existenz von beidem, besteht. Wenn ich vorher gewusst hätte, dass Alkohol Depressionen verursachen kann, dann hätte ich dieses Nervengift vermutlich niemals angerührt.

 

Mein Weg in ein nüchternes Leben

Letztlich habe ich das Antidepressivum nach fünf Jahren ausschleichen lassen. Ich weiß nicht, ob ich es schon früher hätte absetzen können. Ich traute mich das lange nicht, weil mit dem Ende meines Studiums und dem Start ins Arbeitsleben Jahre der Unsicherheit und des nicht Ankommens folgten. Immer wieder hatte ich nur befristete Arbeitsverträge (Generation Praktikum lässt grüßen) und ich musste für neue Jobs gefühlt ständig in andere Städte ziehen. Als zurückhaltender Mensch tue ich mir schwer damit Anschluss in einer mir fremden Umgebung zu finden.

Nach acht Jahren Nüchternheit kann ich heute aber behaupten, dass sich mein Leben voll und ganz zum Positiven gewendet hat. Ich habe keine Katermorgen mehr. Wenn ich morgens aufstehe, habe ich meistens Lust auf den Tag. Meine depressiven Verstimmungen sind weniger geworden. Ich habe mittlerweile zwei kleine Kinder mit einem tollen Mann bekommen, die mich sehr erden und mir jeden Tag aufs Neue zeigen, worauf es wirklich im Leben ankommt. Um diesen Zustand zu erreichen, musste ich aber erst nüchtern werden. Meine Abstinenz ist meine Superpower und meine Geheimwaffe gegen Depression. Falls du noch mehr über die Vorteile eines nüchternen Lebens erfahren möchtest, dann besuche meinen Blog sensibelundstark.com. Dort poste ich regelmäßig Inhalte über Nüchternheit, Sensibilität und Gelassenheit.

nach oben