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Ohne Angst und Depression, zurück in ein erfülltes Leben – mein Weg

Foto: Toby Morbey via Unsplash

Ohne Angst und Depression, zurück in ein erfülltes Leben – mein Weg

Andreas ist 39 Jahre alt und lebt mit seiner Familie in der Pfalz. Heute geht es ihm gut und er kann das Leben genießen. Doch das war in den letzten Jahren nicht immer so. Seit 2011 litt er lange Zeit unter einer Mischung aus Angststörung und Depression. In diesem Beitrag berichtet er über diese schwere Zeit und wie er wieder zu einem lebenswerten Leben fand.

Wie eine Fehldiagnose alles in Gang brachte

Alles nahm seinen Anfang im Januar 2011 bei einer eher routinemäßigen Untersuchung beim Kardiologen. Es sollte eigentlich nur nachgeschaut werden, ob meine Brustschmerzen nicht doch rein orthopädisch bedingt sind. Hier wurde eine Abweichung im EKG festgestellt. Es kam zu einer Verdachtsdiagnose: „abgelaufene Herzmuskelentzündung“. Die brachte das Ganze überhaupt ins Rollen.

Von klein auf war ich, was meinen Körper, gewisse Erkrankungen oder Verletzungen betrifft, sehr ängstlich und sensibel. Als begeisterter Sportler hatte ich bei Infekten immer sehr gut aufgepasst und nicht zu früh wieder mit dem Sport zu begonnen – eben, weil ich von einem betroffenen Bekannten wusste, dass man bei einem verschleppten Infekt eine Herzmuskelentzündung bekommen und dies böse enden kann. Und jetzt eine solche Diagnose.

In der folgenden Nacht hatte ich die erste Panikattacke meines Lebens: Herzrasen, Atemnot und Schweißausbruch. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, ich hätte einen Herzinfarkt und landete in der Notaufnahme. Letztendlich konnte man mich dann aber doch beruhigen, organisch sei alles in Ordnung. Für viele wäre das beruhigend gewesen und die ganze Sache damit vom Tisch. 

Bei mir war das jedoch nicht der Fall und ich begann, mir Fragen zu stellen. Was, wenn man doch etwas übersehen hatte? Was, wenn die Herzmuskelentzündung doch da ist und nur nicht korrekt diagnostiziert wurde? Denn ich fühlte mich tatsächlich nicht in Ordnung. Ich informierte mich im Internet über Herzmuskelerkrankungen, las einiges über unerkannte Verläufe und dramatische Folgen bis hin zur dauerhaften Herzschwäche und der Notwendigkeit einer Herztransplantation.

Jetzt – rückblickend – erkenne ich natürlich, wie ich mir durch meine Recherchen selbst geschadet habe. Zum damaligen Zeitpunkt war ich jedoch schlicht in meiner Angst gefangen. Meine Amygdala, der Teil unseres Gehirns, der für die Erkennung von Gefahrensituation zuständig ist, war offensichtlich durch die Diagnose traumatisiert und dadurch überaktiv und übersensibel, sah überall eine Gefahr.

Antidepressiva und Psychotherapie

In den letzten Jahren probierte ich vieles an Therapien aus. An allererster Stelle steht aber die Erkenntnis, dass man krank ist und dass man sich helfen lassen muss. Das benötigt leider Zeit und dauerte bei mir viele Monate. 

Zuerst versuchte ich, das alleine wieder in den Griff zu bekommen – was bisher eigentlich mit allen sonstigen Dingen irgendwie immer geklappt hatte. Es gehörte nicht zu meiner Stärke, um Hilfe zu bitten. So war es für mich sehr schwierig, die Kontrolle abzugeben und sich anderen Menschen wie einem Psychiater oder einer Psychotherapeutin anzuvertrauen.

Also suchte ich nach einigen Monaten eine Art Übergangstherapeutin (da man ja nicht so schnell einen Therapieplatz bekommt) auf, was für mich bereits eine große Überwindung war. Außerdem vereinbarte ich einen Termin beim Psychiater auf und probierte ein Antidepressivum aus, was ich allerdings leider gar nicht vertrug und nach zwei Tagen wieder absetzte. Es sollte noch einmal mehrere Monate dauern, bis es mir wieder so schlecht ging, dass ich dann nochmals einen zweiten Versuch wagte, mit Escitalopram ein Antidepressivum fand, das ich besser vertrug und welches nach einiger Zeit auch zu wirken begann.

Ich bin wirklich kein Fan davon allzu schnell zu Antidepressiva oder anderen Psychopharmaka zu greifen. Doch manchmal ist es notwendig oder zumindest eine große Hilfe. Deswegen sollte man sich wirklich nicht scheuen, diesen Schritt zu gehen, wenn er nötig ist. Meiner Meinung nach sollte man aber parallel anderweitige Maßnahmen ergreifen, um die eigentliche Ursache der psychischen Probleme ausfindig zu machen und natürlich daran zu arbeiten, z. B. im Rahmen einer Psychotherapie.

Was die Ursachen anbetrifft, so spielt meiner Meinung nach Stress eine bedeutende Rolle – zumindest war dies bei mir der Fall. Doch Stress ist nicht für jede:n dasselbe, sondern höchst individuell. Bei dem einen spielen vielleicht Traumata aus der Kindheit eine Rolle, bei der anderen ist es eventuell ein übertriebener Perfektionismus. Hier muss jede:r die eigenen Auslöser oder Trigger herausfinden.

Doch zurück zu mir. Mit der Zeit – im Laufe von gut einem halben Jahr nach Einnahme von Escitalopram – ging es mir besser und ich konnte meine Arbeit wieder aufnehmen. Ich machte eine Verhaltenstherapie und konnte mein Antidepressivum nach und nach wieder ausschleichen. Mir ging es also wieder bestens – bis mich leider einige Jahre später, im Mai 2015, ein heftiger Rückschlag erwischte.

Angst und Depression zum Zweiten

Es geschah nach einer stressigen Phase mit Umzug und Elternzeit. Ich schlief schon längere Zeit schlecht und war sehr geräuschempfindlich. Ich dachte aber wenn der Umzug erstmal rum ist, wird alles wieder besser.

Rückblickend war das ein Denkfehler, den ich noch lange bereute. Heute weiß ich, dass ich es mir einfach nicht leisten kann, die Erholungsphase bei länger anhaltendem Stress immer weiter aufzuschieben. Achtsamkeit ist eine Sache, die ich erst mühsam lernen musste und noch immer lerne, z. B. durch regelmäßige Achtsamkeitsmeditationen, die man unter anderem in einem angeleiteten MBSR-Kurs lernen kann.

So kamen meine Depression und Ängste anscheinend wie aus dem Nichts (ich hatte die Alarmzeichen einfach nicht erkannt) wieder zurück. Vor allem die Depression war dieses Mal deutlich ausgeprägter und meine Frau musste mich, aufgrund meiner Suizidgedanken, auf die Notfallstation der Psychiatrie bringen. Diese Zeit in der „geschlossenen Station“ war wirklich eine Art Tiefpunkt meiner Erkrankung. Immerhin stellte man mich innerhalb von zwei Wochen auf Escitalopram und Mirtazapin ein und es ging mir zumindest so gut, dass man keine Suizidgefahr mehr sah und ich die Station wieder verlassen durfte.

Doch dieses Mal war der Weg zurück ins Leben schwieriger und dauerte auch entsprechend länger als beim ersten Mal.

Ich bin auf einem guten Weg

Ich mache mittlerweile eine Psychoanalytische Therapie und hatte das Glück eine Therapeutin zu finden, die mir – wie sie auch selbst sagt – auf Augenhöhe begegnet, was ich sehr zu schätzen weiß. Unsere Gespräche scheinen oftmals gar nicht therapeutisch – zumindest nicht in dem Sinne, wie ich mir das immer ausgemalt hatte. Und doch merke ich, wie ich nach und nach „dazulerne“, mich selbst und mein Verhalten zu verstehen, so dass ich Schritt für Schritt „gesündere Verhaltensweisen“ an den Tag lege.

Ich kann allen nur raten, den Aufwand für die Suche nach eine:r guten Psychotherapeut:in, mit dem man gut klarkommt, auf sich zu nehmen. Der Aufwand wird sich lohnen!

Ich weiß jetzt, wo meine Stärken liegen und auch meine Schwächen: z. B., dass ich immer wieder aufpassen muss, nicht zu viel zu arbeiten und mir dadurch selbst Stress zu machen. Ich kann stolz auf mich sein für den, der ich bin und für das, was ich kann, sodass ich mein Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl nicht immer durch Ergebnisse bestätigt sehen muss.

Und so fühle ich mich momentan in guten Händen und blicke zuversichtlich in die Zukunft.

Auf seinem Blog „Mein Weg aus der Angst“ könnt ihr mehr von Andreas‘ Erfahrungen lesen.

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