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Yoga als mein Antidepressivum

Foto: Anna Stechert

Yoga als mein Antidepressivum 

Anna (46) litt seit ihrer Kindheit an Depression. Verstanden hat sie das allerdings erst mit Mitte 40, als gar nichts mehr ging und sie nicht mehr leben wollte. Da entdeckte sie Yoga – und lernte sich und das Leben neu kennen. Heute arbeitet sie als freie Yogatherapeutin und traumasensible Coachin in Köln. In diesem Beitrag beschreibt sie ihren Leidensweg, die Erkenntnis an einer Depression zu leiden, erzählt davon wie Yoga in ihr Leben kam und was sich dadurch seitdem zum Positiven verändert hat.

 

Ich wusste lange nicht, dass ich krank war

Ich weiß, dass ich mich schon als Jugendliche mit „großen“ Fragen herumschlug: Warum lebt man eigentlich? Was ist der Sinn meines Lebens? Alles erschien mir irgendwie sinnlos. Und ich erinnere mich, dass ich schon damals mein Leben anstrengend fand.  

Als Erwachsene fing  ich immer mal wieder eine Therapie an – hauptsächlich wegen meiner Essstörungen. Ich habe sie immer wieder abgebrochen – meistens weil ich das Gefühl hatte, dass der Therapeut mich nicht wirklich verstand. Oder weil ich berufsbedingt wieder einmal in ein anderes Land zog. 

Und es war ja nicht so, dass ich überhaupt keinen Spass im Leben hatte. Ich habe einen ganz bunten Lebenslauf, habe viel erlebt; hatte wunderschöne Momente und spannende Zeiten, einen erfüllenden Job. Ich hatte Themen, gewiss. Aber die haben wir doch alle, oder? 

Vielleicht habe ich deshalb die einzelnen Symptome – Essstörungen, innere Unruhe, Ängste, etc. – auch deshalb nicht miteinander verbinden können, zu dem was es war: eine waschechte Depression, die mich bereits den Großteil meines Lebens begleitete. 

Nachdem ich endgültig nach Deutschland zurückkam, wurde mein Leben deutlich ruhiger und geregelter. Deswegen nahm ich es wohl auch zum ersten Mal bewusst wahr, als ich in ein Loch fiel, in eine schwere depressive Episode reinrutschte.

Eigentlich hatte ich ja alles, wovon eine damals 40-jährige Frau träumen konnte: tolles Kind, tollen Mann, tolle Eltern. Ich hatte einen sinnvollen Job, in dem ich erfolgreich und beliebt war.  Ich war augenscheinlich fit und gesund, hatte Freunde. Eigentlich lief alles so, wie „es“ laufen sollte. 

Und trotzdem kam ich morgens vor Müdigkeit kaum aus dem Bett, denn ich schlief kaum. Nächtelang quälten mich irgendwelche Sorgen, Gedankenkreise die nicht enden wollten. Ich verließ das Haus regelmäßig voller unbegründeter Ängste – was ist, wenn ich es nicht schaffe? Wenn ich heute eine Aufgabe bekomme, die ich nicht schaffe? 

Tagsüber war ich konstant unter Strom, gehetzt und angespannt bis zum Anschlag. Wie konnte ich noch effizienter arbeiten, eine noch präsentere Mutter sein? Wo konnte ich noch mehr Zeit einsparen, noch perfekter die Erwartungen erfüllen? Für Freunde hatte ich keine Zeit und keine Energie. Es kam häufig zu Streitereien mit meinem Mann. Ich fühlte mich nicht genug unterstützt und konnte nur noch wütend sein. Abends wartete mein Bett auf mich, die Decke, unter der ich mich verkriechen konnte – und der wiederkehrende, tröstende Gedanke: Wenn es noch schlimmer kommt, dann setze ich meinem Leben ein Ende. 

Ich war so in diesem Hamsterrad gefangen, dass ich keinen Ausweg sah. Schlimmer noch: Ich kam gar nicht auf die Idee, nach einem Ausweg zu suchen. Ich dachte einfach: Du hast ein tolles Leben, du müsstest glücklich sein. Also musst du dich mehr anstrengen. Die Diagnose Depression kam mir gar nicht in den Sinn. Das ganze Thema war überhaupt nicht präsent! Aus heutiger Sicht finde ich das wirklich krass.

Die Erkenntnis: Ich brauche Hilfe

Irgendwann ging allerdings nichts mehr. Ich wusste, ich konnte so nicht mehr weiterleben. Ich wollte so nicht mehr weiterleben. Die Erkenntnis, dass mein Kind ohne mich besser dran sein könnte, erschreckte mich. Ich stand vor der Entscheidung: Entweder ich höre auf zu leben, oder ich hole mir Hilfe. 

Ich habe mir Hilfe geholt – damals hatte ich das enorme Glück, sehr schnell einen Termin und weitere regelmäßige Sitzungen bei meinem Psychiater zu bekommen. Das wäre heute wohl ganz anders – eine Entwicklung unseres Gesundheitssystems, die mir Angst macht. 

Antidepressiva und erste Gespräche gaben mir den notwendigen Auf- und Antrieb, um mich auf den Weg zur machen – vielleicht nicht zur kompletten Heilung, aber zu mehr Lebensfreude.

Mein Zugang zu Yoga

Ich hatte in den Jahren davor immer wieder mal Yoga gemacht, aber nie den Bezug dazu gefunden. Ich wollte mich damals auspowern, schwitzen, Kalorien verlieren. Ich litt teilweise unter zwanghaften Sport. 

Als es mir aber dann so furchtbar schlecht ging, wusste ich aber sofort: Ich muss auf die Yogamatte. Ich weiß bis heute nicht, warum. Es war mir absolut klar, dass ich Yoga brauchte. 

In einen Kurs im Studio wollte ich erstmal nicht, das kostete mich zu viel Kraft. Also habe ich Yogavideos gemacht. Und es war einfach erstaunlich: Es war sofort, als hätte jemand einen Pausenknopf gedrückt. Als würde um mich herum im Zeitraffer die Welt weiter rasen, während ich ganz still und friedlich mein Yoga machte. Es war herrlich. 

Ich begann, mich mehr mit Yoga und Menschen die Yoga machten, zu beschäftigen. Wieso strahlten sie eine solch innere Ruhe und Zufriedenheit aus? Warum waren sie so liebevoll? Ich machte eine Ausbildung zur Yogalehrerin, um die Philosophie und Wirkungsweise von Yoga zu verstehen. In der Gruppe der Auszubildenden, habe ich mich zum ersten Mal wohl mit Anderen gefühlt. Ich habe erst dann verstanden, dass ich nicht alleine war mit meinen ganzen Fragen, Zweifeln, Gedanken. 

Yoga hat mein Leben entscheidend verändert

Heute, fast fünf Jahre später, ist mein Leben ein ganz anderes: Durch Yoga habe ich zum ersten Mal eine echte Verbindung zu mir selbst aufnehmen können. Ich habe mich kennengelernt, nehme meine Grenzen und meine eigenen Bedürfnisse endlich wahr. Ich habe ein gesundes Verhältnis zu meinem Körper, weil ich ihn für das Wunder schätzen kann, das er ist. 

Ich habe tatsächlich die innere Ruhe gefunden, die ich früher bei den Yogis so bewundert hatte. Es braucht heute sehr, sehr viel, um mich zu stressen. Ich bin meistens gelassen, ich habe Spaß am Leben. Wer hätte das gedacht?!

Und ich brenne dafür, anderen den Zugang zu Yoga zu ermöglichen und meine Erfahrungen und mein Wissen, das ich mir weiter aneigne, weiterzugeben und somit anderen zu helfen die vielleicht genauso ratlos und verzweifelt sind, wie ich es war. 

Versteht mich nicht falsch: Ich schwebe nicht die ganze Zeit drei Meter über dem Boden und sehe alles rosarot. Aber da ich mich sehr gut spüren kann, ich meine Alarmzeichen früh wahrnehme, kann ich entsprechend reagieren. Ich hatte deshalb seit 2017 keine depressive Episode mehr, und ich wage zu behaupten, dass ich auch keine mehr bekommen werde. Ist das Heilung? Ich meine: ja. 

Yoga als Insel in unserer heutigen Welt

Das Schöne ist: Jede:r kann Yoga. Wenn du atmen kannst, kannst du Yoga. Das stimmt wirklich! Aber sei dir bewusst: Es ist ein Weg, den du gehst, der Zeit und der Committment erfordert. Mit ein, zweimal Yoga machen ist es natürlich nicht getan. Aber es ist ein Weg, der sehr erfüllend sein kann und spannend. Und du wirst Fortschritte schnell merken können. 

Unser modernes Leben – bei allen wunderbaren Vorteilen die es bringt – macht uns krank. Dieses Ständig-Verfügbar-Sein, die Reizüberflutung über gefühlt hunderte Kanäle, tut uns nicht gut. Wir machen alles gleichzeitig: Während wir essen, lesen wir die Emails, reden nebenbei mit dem Partner oder der Partnerin, und der Fernseher läuft auch noch. Unser Terminkalender quillt über. Wenn du nicht völlig gestresst bist, stimmt was nicht mit dir – das scheint mir das heutige Lebens-Verständnis zu sein. 

Wir sind damit beschäftigt, auf die ganzen Anforderungen zu reagieren, die von außen auf uns einprasseln. Wir haben verlernt, nach innen zu schauen und die Sprache unseres Körpers, unserer Gefühle und unserer Seele zu verstehen und dessen Signalen zu vertrauen und zu folgen. 

Dazu kommt: Unser Verhalten von heute, unser Blick auf unsere Welt und unser Leben, wurden maßgeblich in unserer Kindheit geprägt. Und unsere frühkindlichen Erlebnisse werden im Körper abgespeichert, nicht im expliziten Gedächtnis. Inzwischen gibt es sogar Belege dafür, dass auch Prägungen und Traumafolgen unserer Eltern an uns weitervererbt werden. Wir schleppen also gegebenenfalls ganz schön was mit uns herum, ohne es zu wissen.

An diese Prägungen (oder gar Traumafolgen) kommt man aber mit einer Kombination aus Gespräch und Körperarbeit ran. Und genau deshalb kann Yoga dein Leben verändern. 

Dies ist nicht nur meine Erfahrung. Es gibt eine ganze Reihe internationaler wissenschaftlicher Studien, die die Wirkung von Yoga und weiteren körperbezogenen Therapien wie Somatic Experiencing, EMDR, etc bei Depression, Trauma und vielen anderen Herausforderungen belegen.  Teilweise werden diese Maßnahmen auch von den gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst.

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