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Soforthilfe

Trauern lernen – Reden hilft immer!

Foto: Priscilla Du Preez via Unsplash

Trauern lernen – Reden hilft, immer!

 

Nicola ist dankbar dafür, dass sie schon in verschiedenen Lebenslagen professionelle Hilfe in Anspruch nehmen konnte. Vor vielen Jahren verlor sie ihre Schwester durch Suizid, doch darüber wurde nicht gesprochen und Nicola verschloss die Trauer in sich. Als sie schon nicht mehr damit rechnete, meldete sich jedoch die Trauer und alles Unverarbeitete mit ihr. In diesem Beitrag berichtet Nicola wie sie lernte darüber zu reden, sich Hilfe zuzugestehen und zu heilen. Der Weg dahin war allerdings gar nicht so leicht. 

 

Trauer erkennen, als das, was sie ist

Es ist wirklich lang her, der Suizid meiner Schwester. 27 Jahre, um genau zu sein. Aber vergessen werde ich das nie. Trauern habe ich leider auch nicht gelernt, meine Familie ist nach dieser Tat auseinandergebrochen und in ein großes Schweigen verfallen, bis heute.

Also bin ich geflohen, direkt nach dem Abi nach Hamburg. Dort konnte ich mich neu erfinden. Auf die Frage, ob ich Geschwister habe, habe ich damals stets mit „nein“ geantwortet. Ich dachte, ich könnte alles was war, einfach ausradieren, wegwischen und hinter mir lassen. 

Bis sich in meinen Zwanzigern dunkle Wolken über meinem Kopf bildeten und mich vernebelten. Ich wusste gar nicht, was das war. Ich hatte einen tollen Job, Freunde, eine tolle Wohnung, bin um die Welt gereist und trotzdem war da etwas, was immer wieder an meine Tür geklopft hat. Es war die Trauer. 

Eines Tages bin ich dann auf einer Autofahrt in Tränen ausgebrochen und wusste nicht mehr, was da eigentlich mit mir passiert. Mein Freund war es, der mir seine auf meine Hand legte und sagte: „Ich bin immer für dich da, ich unterstütze dich, wo ich nur kann, aber ich kann dir ab hier nicht mehr helfen“. Das hat geholfen. 

Diese Ehrlichkeit. Es war gar nicht leicht, mich diesem Thema zu öffnen. Ich dachte damals noch, auf dieser Autofahrt, das ist doch total schwach, sich Hilfe zu holen. Heute weiß ich, es ist stark, vielleicht das stärkste und mutigste, was man machen kann. Zu sagen: „Ich weiß nicht weiter, bitte hilft mir“.

 

Es geht los

Ich habe mir dann einen Therapieplatz gesucht, kam aber leider mit der Therapeutin nicht klar. Ich wollte loslegen, eintauchen, verstehen und heilen und musste erst mal wieder pausieren. Aber es passte zwischenmenschlich nicht, das kommt vor.

Eine Freundin hat mir dann ihren ehemaligen Therapeuten empfohlen. Er wurde schnell zu einer Stütze in meinem Alltag. Er strahlte eine solche Ruhe aus, ich konnte ihm alles anvertrauen. Ich fühlte mich wohl in seinem Zimmer, ich freute mich regelrecht auf diese Stunden. Auch wenn ich manchmal schon im Zimmer saß und weinte, noch bevor wir überhaupt angefangen hatten. 

Es war einfach so erleichternd, sich alles von der Seele zu reden. Bei ihm habe ich gelernt, was es heißt, Gefühle zu äußern. Zu gucken, wie es mir gerade geht und wie drücke ich genau das aus. Oft fragte er mich zu Beginn: „Wie geht es Ihnen heute?“ und ich sagte „scheiße“. Er sagte dann ganz ruhig „Scheiße ist kein Gefühl. Versuchen Sie es mal anders“.

Nach diesen Stunden habe ich mich jedes Mal mit der Freundin, die ihn mir empfohlen hatte, im immer gleichen Café am immer gleichen Tisch getroffen. Es gab Kakao und frisch gebackenen Obstkuchen und wir haben zusammen die Stunde Revue passieren lassen. Jedes Mal schaute sie mich an, auch wenn meine Augen verweint waren, und sagte: „du siehst so rein und geklärt aus“. In dieser Zeit tauften wir unsere Gespräche nach jeder Sitzung in „reinreden“. 

Die Therapiestunden wurden zu einem Anker im Alltag. Bei meinem Therapeuten lernte ich so vieles, viel über mich, über meine Familie, aber auch schweigen. Manchmal saßen wir nur da und ließen mein Gesagtes sacken, das hatte etwas so friedliches und aufgeräumtes, dass sich mein Leben auch wieder aufräumte.

 

Fremde neue Welt

Es ging mir schnell besser. Ein paar Jahre später zog ich in eine andere Stadt, bekam ein Kind und der Abschied von Hamburg und der Therapie fielen mir schwer. Als es mir nach der Geburt meines Sohnes die erste Zeit nicht gut ging, rief ich meinen ehemaligen Therapeuten einfach an und schilderte ihm die Lage. Er blieb ganz cool und fragte nur: „Können Sie irgendwie nach Hamburg kommen“? Und ich sagte sofort ja. Ich erinnere mich heute noch an die Erleichterung die ich verspürt habe, dass ich wieder mit ihm reden und mich austauschen konnte. Mit jemandem, der mich gut kannte, der wusste, wie ich ticke, der konstant war in einer Welt, die mir plötzlich völlig unbekannt war. 

Über Monate flog ich immer alle sechs Wochen nach Hamburg und setzte mich wieder in das mir bekannte Zimmer und gegenüber von ihm, das gab mir wieder Halt. Er kannte mich und ich musste in der neuen Stadt nicht mit einer neuen Therapie von vorne starten. Und wieder half es.

Mittlerweile habe ich in der neuen Stadt eine Therapeutin gefunden, die ich bei Bedarf einfach kontaktieren kann. Seit dem Lockdown auch ganz unkompliziert übers Internet. Ich verlasse mich nicht auf sie, aber ich weiß, wenn es mal hart auf hart kommt, dann ist da jemand, mit dem ich reden kann, der mir zuhört und mir hilft zu heilen. 

 

Meine ganz persönlichen Tipps

Wer immer gerade hadert. Lass euch helfen, es gibt so tolle Unterstützer da draußen. Wenn euch die Suche zu viel ist, bittet Familie oder Freunde euch dabei zu unterstützen oder ganz zu übernehmen. 

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