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Zwischen Familienglück und Suizidgedanken

Foto: Tim Mossholder via Unsplash

Zwischen Familienglück und Suizidgedanken

Gastautor Ingo hat eigentlich alles was man sich im Leben wünscht. Eigentlich. Er ist Ende 30, verheiratet, berufstätig, Vater von neunjährigen Zwillingen. Doch er merkt das etwas nicht mit ihm stimmt. Eine psychische Ursache zieht er zunächst nicht in Betracht, denn er hat ja alles. Doch Suizidgedanken schleichen sich ein und schließlich erhält er die Diagnose Depression. Seinen Weg zur Diagnose und zur Therapie beschreibt er in diesem Beitrag.

„Eigentlich wäre es für alle besser, wenn ich nicht mehr da bin.“

Dieser Gedanke hat mich in so mancher Nacht mit Schlafstörungen eingeholt. Nicht immer und nicht mit konkreten Plänen, aber hin und wieder war er da, wenn ich keinen Ausweg sah und eine schlechte Phase hatte. 

Jede:r, ohne Berührungspunkte mit Depressionen, kann vermutlich nicht verstehen, dass jemand der mitten im Leben steht und die Verantwortung für eine Familie trägt, solche Gedanken hat. Und genau das ist das Tückische an Depressionen. In schweren depressiven Phasen waren und sind meine Gedanken wie ferngesteuert. Alles Positive wird ausgeblendet und ich fühle mich, als läge ein dunkler Schleier über mir.

In diesen Phasen bin ich traurig, kraftlos, gleichgültig und ohne Selbstwertgefühl.

Etwas stimmt nicht

Dass etwas nicht stimmt, war mir schon länger unterbewusst klar. An eine psychische Ursache dachte ich zunächst nicht, da es aus meiner Sicht keinen konkreten Auslöser dafür gab und somit auch keine Veranlassung, dies näher zu beleuchten. 

Als Mann neigt man zu oft dazu, schlechte Phasen herunter zu spielen, weil man stark sein will und es anderen bestimmt schlechter geht. Außerdem hat man immer im Hinterkopf, dass es einem ja auf dem Papier gut gehen müsse und man ja alles hat. Und schließlich bildete ich mir ein, dass für eine psychische Ursache ja sicherlich einen konkreten Auslöser wie einen Trauerfall, Jobverlust, Trennung o.ä. geben muss.

Da ich zu dem Zeitpunkt vordergründig an Schlaflosigkeit und Magenbeschwerden litt, war für mich klar, dass eine körperliche Ursache vorliegen muss und diese auch dafür verantwortlich ist, dass es mir allgemein nicht gut geht. Nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Nach langem Warten entschloss ich mich, den Ursachen auf den Grund zu gehen. Jedoch blieben diverse Arztbesuche ohne Befund und ich stand wieder ganz am Anfang. Ich konnte mir nicht erklären, woher diese ständige Trauer und die körperlichen Beschwerden herkommen.

Der Augenöffner

Dann aber passierte etwas, was mir die Augen öffnete. Im Familienurlaub las ich aus persönlicher Sympathie das Buch von Kurt Krömer über seine Depressionen. Mit jeder einzelnen Seite stellte sich mir immer wieder die Frage: „Warum schreibt Kurt Krömer ein Buch über mich?“

Die beschriebenen Symptome kannte ich fast eins zu eins von mir selbst. Das erste Mal hatte ich eine mögliche Erklärung für meine Situation.

Daraufhin beschloss ich zusammen mit meiner Frau, die mich bis heute in allem unterstützt, mir nach dem Urlaub Hilfe zu suchen. Das war ich meiner Familie vor dem Hintergrund der sich einschleichenden Suizidgedanken schuldig.

Therapie und Besserung

Wer eine solche Phase durch hat, kennt das Problem, dass man etwas in Angriff nehmen will, aber einem einfach krankheitsbedingt der Antrieb fehlt. Das Wichtigste ist, diese Blockade zu überwinden, um sich von Fachleuten helfen zu lassen. Noch im Urlaub machte ich mir einen Termin bei meiner Hausärztin, die mich sehr feinfühlig und professionell in meinem Vorhaben bestärkte.

Ich hatte großes Glück, dass ich nach einigen Telefonaten zeitnah einen Termin für ein Erstgespräch bekommen habe. Die Chemie zwischen mir und der Therapeutin hat von der ersten Minute an gestimmt.

Ich weiß, dass das die Ausnahme ist und die Suche nach einem Therapieplatz eher einem Marathon als einem Sprint ähnelt. Dennoch kann ich an jede:n, dem das Geschriebene bekannt vorkommt, nur appellieren, am Ball zu bleiben. Sich Hilfe zu suchen, ist ein Zeichen von Stärke und nicht von Schwäche. Es geht im extremsten Fall um das eigene Leben.

Nach dem Erstgespräch und der bereits erwarteten Diagnose Depression, bot mir meine Therapeutin relativ kurzfristig eine Verhaltenstherapie an. Damit stand ich vor der nächsten Hürde. Ich habe gerade erst erfahren, was der Grund für meine Situation ist und wie meine Diagnose lautet. Das allein muss man erst einmal verarbeiten.

Doch nun musste ich kurzfristig eine Entscheidung für die Therapie treffen und im näheren Umfeld (Familie, Freunde und Arbeitgeber) mit offenen Karten spielen. Der Krankheit geschuldet hatte ich unheimliche Angst davor. Glücklicherweise stellte sich diese als komplett unbegründet heraus. Ausnahmslos alle haben verständnisvoll reagiert und mir Mut zugesprochen. Das war ein überragendes Gefühl, weil ich mich nicht mehr verstellen musste und mich weniger allein gefühlt habe.

Jeder Mensch ist anders, aber einige Depressive neigen dazu, sich zu verschließen. Ich kann nur Mut machen und empfehlen, euch euren Liebsten zu öffnen. Ihr werdet viel Zuspruch bekommen und das tut unfassbar gut!

Ich befinde mich noch immer in Therapie und es ist sehr befreiend mit einer neutralen Person über seine Probleme zu reden, ohne dass man sich groß erklären muss, da die Therapeuten oder Therapeutinnen die Sorgen und Ängste bereits mehrfach gehört haben und diese ernst nehmen.

Natürlich ist nicht alles Gold was glänzt. Ich habe immer mal wieder schlechte Phasen. Dennoch ist es das A und O sich Hilfe zu suchen. Sei es in einer Therapie, in Selbsthilfegruppen oder in akuten Fällen in einer Klinik oder bei Ehrenamtlichen, wie z.B. der Telefonseelsorge.

Alleine ist eine Depression kaum zu überwinden. In einer depressiven Phase fehlt einem das Selbstwertgefühl, aber macht Euch immer klar: Ihr seid wichtig, Ihr werdet geliebt auch wenn Ihr Euch in der Depression nicht selbst lieben könnt.

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