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Fühlt sich so das Leben an?

Foto: Neom via Unsplash

Kurz nach ihrem Abi, Lotte will gerade in ihr eigenes Leben starten, ist umgezogen und hat eine Ausbildung begonnen. Dann erhält sie die Diagnose Depression und in ihrem Leben ist nichts mehr so wie es war. Über ihre Erfahrungen mit der Krankheit berichtet sie in diesem Gastbeitrag und in ihrem Buch.

Der Zusammenbruch

Vor mittlerweile knapp drei Jahren erhielt ich im Alter von 20 Jahren die Diagnose einer schweren Depression. Ich hatte mein Abi in der Tasche, bin aus München ins wunderschöne Freiburg gezogen, um dort einen Neustart zu wagen und begann die Ausbildung zur Krankenschwester. Schon länger hatte ich gemerkt, dass es mir psychisch nicht besonders gut ging, aber war sehr gekonnt darin, mir nichts anmerken zu lassen. Ich blieb weiterhin der Sonnenschein, den alle gewohnt waren, in mir zu sehen. Dann brach alles über mir zusammen und ich war insgesamt ein Jahr krankgeschrieben und währenddessen für drei Monate in einer psychosomatischen Klinik. Mein Leben hat sich so tieftraurig, hoffnungslos und scheiße angefühlt.

Ein langer Weg zur Besserung

Mir haben die Therapie und die medikamentöse Unterstützung etwas zur Stabilisierung verholfen. Dennoch habe ich weiterhin lange und viel gelitten, sodass ich 2023 erneut drei Monate in einer Klinik war. Diesmal jedoch in einer offenen Psychiatrie. Ich erzähle das keinesfalls, um Angst zu schüren, sondern um zu verdeutlichen, dass Depressionen keine harmlose Krankheit sind, die verschwindet, wenn man ein bisschen öfter an die frische Luft geht oder mit dem Sport anfängt. Ich wünsche mir, dass Betroffene sich verstanden und in ihrem Leid gesehen fühlen.

Heute geht es mir besser!

Heute, viele Monate und sogar Jahre nach Erhalt meiner Diagnose, geht es mir endlich besser. Ich bin so viel stärker aus dieser Zeit herausgekommen – was ich an meinen schlechtesten Tagen niemals gedacht hätte. Kaum zu glauben, aber heute gibt es sogar Momente, in denen ich dankbar bin, durch diese Krankheit gegangen zu sein. So habe ich einiges über mich lernen und erfahren dürfen und kann Momente des Glücks sehr wertschätzen, weil ich in so vielen anderen gelitten habe und nicht mehr aufstehen wollte. Ich dachte, mein Leben bleibt jetzt so. Mir fehlte die Hoffnung, aber manchmal schimmerte sie dann doch durch den Tränenschleier. Ganz leicht, fast nicht erkennbar, aber sie war da.

Was ich gelernt habe

Und dann ist mir bewusst geworden, dass es IMMER mindestens einen Grund gibt, für den es sich zu kämpfen lohnt. Der kann ganz unterschiedlich ausfallen, aber es gibt ihn. Ganz sicher! Bei mir war es unter anderem die Zukunft mit meinem Freund und meiner Familie. Ich wollte sie nicht verlieren. 

Zwei Dinge, die ich durch meine Krankheit gelernt habe, sind zum einen die Erkenntnis meiner Stärke und zum anderen die Abgrenzung zur Depression. Nie hätte ich gedacht, dass ich Freude wieder spüren kann, dass ich gerne am Leben und sogar unfassbar dankbar dafür bin. Jetzt kann ich es, weil ich gekämpft habe. Ganz unbewusst. Ich dachte, ich sei schwach und das war ich bestimmt auch zu einem großen Teil. Ich konnte nicht mehr, hatte an vielen Tagen keine Kraft zu duschen oder aufzustehen. Ich habe nur an die Wand gestarrt. Sie war ganz weiß und ich ganz traurig. Verzweifelt. Aber dennoch habe ich weitergekämpft, immer weiter und jetzt bestimmt die Depression nicht mehr meinen Alltag und das ist so ein tolles Gefühl, für das sich alles vielleicht irgendwie gelohnt hat. Alles passiert aus einem Grund, sage ich mir immer und vielleicht war das mein Grund. Zu verstehen, wie viel mehr ich schaffen kann, als ich mir oft zutraue. Du schaffst das auch, da bin ich mir sicher.

Die Abgrenzung zur Depression ist mindestens genauso wichtig. Ich weiß nicht, wie häufig ich mir den Satz: „Du bist nicht deine Gedanken“ anhören musste, bis ich ihn wirklich verinnerlicht habe. Jetzt weiß ich, dass alle negativen und selbstdestruktiven Gedanken nicht meinem Sein entspringen, sondern der Depression. Das verhindert natürlich nicht, dass die Gedanken da sind und in meinem Kopf herumschwirren, aber es hilft bei der Einordnung. Du bist keinesfalls wertlos. Die Depression lässt dich fühlen, als seist du wertlos. Vergiss das nie!

Reden hilft

Ich bin der festen Überzeugung, dass es hilfreich ist, mit nahestehenden Personen über seine Krankheit zu sprechen. Man muss da nicht allein durch. Gute Unterstützung ist eine große Hilfe und es gibt keinen Grund, sich für seine Krankheit zu schämen, sie zu leugnen und noch weniger: sie herunterzuspielen. Das Leben mit einer Depression ist extrem hart. Auch heute habe ich noch Tage, an denen ich mir meine Decke über den Kopf ziehe und nicht aufstehen möchte, weil mich eine innere Leere überkommt und mein Körper sich unendlich schwer anfühlt. Ich versuche dann auf meinen Körper zu hören. Was will er mir sagen, warum bereitet er mir körperliche Schmerzen und negative Gedanken? Da versuche ich dann hinzuschauen, auch wenn es manchmal hart ist. 

Zum Glück kann ich heute besser mit solchen Tagen umgehen, weil ich weiß, dass wieder welche kommen, an denen ich die Sonnenstrahlen genieße und lächle, weil ich tief dankbar bin, am Leben zu sein! 

Schreiben hilft auch

Während meines ersten Klinikaufenthaltes, begann ich mein Buch „Fühlt sich so das Leben an?“ zu schreiben, was mir sehr bei der Verarbeitung geholfen hat. Schon seit vielen Jahren habe ich im Schreiben ein Stückchen Heilung erfahren. Ich konnte immer alles runterschreiben, was mir durch den Kopf ging – ohne die Angst verurteilt zu werden. Auch, wenn sich das komisch anhören mag, habe ich mich in meinem Leid etwas mehr verstanden gefühlt. 

Ich selbst habe in der herausfordernden Zeit der Depression viele Erfahrungsberichte und Bücher gelesen, Podcasts gehört und mich dadurch mit meiner Verzweiflung weniger allein gefühlt. Das möchte ich mit meinem Buch auch für andere erreichen. Es richtet sich besonders an junge Menschen, die ebenfalls unter einer psychischen Krankheit leiden. Häufig ist es schwierig, mit ihr umzugehen und sie vor allem erstmal als eine Krankheit anzuerkennen, was durch ihre „äußerliche Unsichtbarkeit“ manchmal gar nicht so leicht ist. Zusätzlich werden in unserer Gesellschaft leider beispielsweise Depressionen häufig heruntergespielt. Man kann nicht nachempfinden, wie hoch der Leidensdruck ist, wenn man nicht selbst die Erfahrung gemacht hat. Aus diesem Grund kann das Buch auch für Angehörige von Betroffenen eine Möglichkeit sein, diese Krankheit eventuell etwas besser nachvollziehen zu können.

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