Diana Doko zur Netflix-Doku „Babo – Die Haftbefehl-Story“
Foto: Benno Kraehahn
Die Netflix-Doku „Babo – Die Haftbefehl-Story“ sorgt mit ihrer schonungslos ehrlichen Geschichte für Gesprächsstoff. Gut so! Denn Aufmerksamkeit hilft, ein großes Tabu zu brechen.
Aber: Die Kontroverse rund um die Doku zeigt auch, welche Risiken dabei entstehen können und was wir daraus für eine gute Suizidprävention lernen sollten.
„Babo – Die Haftbefehl-Story“ erzählt offen von Haftbefehls traumatischen Erlebnissen, dem Suizid seines Vaters, seiner eigenen Drogensucht und seiner beeindruckenden Karriere als Rapper.
Sie zeigt aber auch eindrücklich, wie wichtig es ist, hinzuschauen, zuzuhören und zu verstehen, was jemand mit psychischen Belastungen durchmacht. Das kann helfen, Empathie zu fördern und uns alle daran erinnern, dass wir Verantwortung füreinander tragen.
Gleichzeitig ist mir bewusst, dass die sehr persönliche und schonungslose Darstellung von Haftbefehls Geschichte für Menschen, die selbst mit Depressionen oder Suizidgedanken kämpfen, auch belastend sein kann.
Hier spielt der sogenannte „Werther-Effekt“ eine Rolle. Der Begriff geht auf Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“ zurück, nach dessen Veröffentlichung sich viele junge Männer das Leben nahmen, inspiriert vom tragischen Helden.
Auch in der Haftbefehl-Doku gibt es Elemente, die diesen Effekt begünstigen könnten, zum Beispiel die Szene, in der der Suizid seines Vaters gezeigt wird. Die Sequenz ist sehr emotional und detailliert dargestellt, etwas, das laut Studien das Risiko von Nachahmung erhöhen kann. Solche Darstellungen können Betroffene triggern oder Hoffnungslosigkeit verstärken. Deshalb ist es wichtig, dass Medien und Filmschaffende hier besonders sensibel vorgehen.
Auch einen Hinweis vor Beginn der Doku zu platzieren, worum es geht, finde ich grundsätzlich gut, da es ein Verantwortungsbewusstsein der Macher zeigt.
Allerdings ist die gewählte Sprache darin nicht neutral. Der Begriff „Selbstmord“ wirkt auf viele Hinterbliebene verletzend, weil er eine moralische Bewertung enthält („Mord an sich selbst“) und aus einer Zeit stammt, in der Suizid als Sünde oder Straftat galt. Es wäre besser stattdessen das wertfreie Wort „Suizid“ zu verwenden, das respektvoller, sachlicher und weniger belastend für Betroffene und Angehörige ist.
Daher würde ich mir wünschen, dass auch große Plattformen wie Netflix in ihren Inhalten und Warnhinweisen eine achtsame, stigmafreie Sprache nutzen. Sprache prägt, wie wir über mentale Gesundheit und psychische Erkrankungen sprechen und leider auch, ob wir überhaupt darüber sprechen.
Ein besonders positiver und berührender Moment in der Doku ist, dass Haftbefehls Bruder es schafft, ihn in einer Klinik unterzubringen und so den Weg in eine Therapie ermöglicht. Dieses Mitgefühl und aktive Eingreifen zeigen, wie entscheidend Unterstützung durch Angehörige oder Freundinnen und Freunde in einer Krise sein kann.
Und an dieser Stelle kommt der sogenannte „Papageno-Effekt“ ins Spiel. Der Name stammt aus Mozarts „Zauberflöte“: Die Figur Papageno will sich das Leben nehmen, wird aber im letzten Moment von anderen Menschen davon abgehalten. Studien zeigen, dass es helfen kann, wenn in den Medien Geschichten von Menschen erzählt werden, die eine Krise überstanden haben und dass diese Geschichten tatsächlich suizidpräventiv wirken.
Und genau auf diesen Effekt setzen wir bei Freunde fürs Leben e.V. seit 25 Jahren. Es reicht nicht, nur über das Problem zu sprechen. Wir brauchen positive Geschichten, die Hoffnung geben und diese Geschichten zeigen wir in Interviewformaten wie „Laut gedacht“ oder „Bar-Talk“ oder unserem Podcast „Kopfsalat“, in denen u.a. bekannte Persönlichkeiten wie Nina Chuba, Felix Lobrecht und Torsten Sträter offen über ihre Krisen und Wege daraus sprechen.
Wir wollen Mut machen und zeigen, dass Depressionen behandelbar sind.
Wir wollen zeigen, dass Suizidgedanken mit professioneller Hilfe überwunden
werden können.
Last but noch least. Ich wünsche Haftbefehl von ganzem Herzen, dass er einen Umgang mit seinen dunklen Geistern findet. Nur die Menschen, die unter einer psychischen Erkrankung leiden, wissen, was er durchmacht. Und ich, die diese Erkrankung nicht hat, kann nur mit Empathie und offenen Augen durchs Leben gehen, um zu erkennen, wenn ein Mensch in Not Hilfe braucht.
Es wäre hilfreich, über die Schwächen UND Stärken der Doku „Babo – Die Haftbefehl-Story“ zu reden. Lasst uns aus den Schwächen lernen und es bei der nächsten Doku besser machen. Nur so können wir Jugendliche und junge Erwachsene aufklären und den verzweifelten Werther in einen lebensbejahenden Papageno verwandeln.
Diana Doko, Gründerin von Freunde fürs Leben e.V.