Phil-osophie am Samstag
Heute ist Samstag.
Das ist einen Tag später als Freitag, aber immer noch eine feine Sache.
Wer gelegentlich auf meiner Facebookseite vorbeischaut, konnte in der letzten Woche lesen, dass ich ein neues Lieblingszitat habe. Erasmus von Rotterdam – der nebenbei bemerkt – heute vor 546 Jahren geboren wurde, schrieb: “Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit“.
Nun bin ich mir recht sicher, dass das Leben im 15. Jahrhundert aus heutiger Sicht mehr Verrücktheit aufwies, als man sich wünschen würde, für einen Zeitgenossen wird es allerdings recht schwierig gewesen sein, aus einem Leben, dass von Normen und Ritualen geprägt war, auszubrechen. Mein persönliches Vorbild in dieser Angelegenheit ist Patch Adams, der als Arzt mit der „steifen Verstocktheit“ in Krankenhäusern unzufrieden war und sich als „Clown im Kittel“ einfach mal mit einer roten Nase bewaffnet auf die Kinderstationen aufmachte, um Lebensfreude dorthin zu bringen, wo sonst nur Sterilität und Disziplin herrschte.
Heute, wo die Krankenhausclowns fast überall zum Klinikalltag gehören, organisiert Dr. Adams alljährlich eine Gruppe Clowns, die in Russland Waisen, Kranken und sozial benachteiligten ein Lachen aufs Gesicht zaubern. Das ist nicht verrückt, sagen Sie? In den frühen 70ern war es das. Und Dr. Adams riskierte damit seinen Ruf, seine Zulassung und seine Anerkennung in der Gesellschaft. Wieviel Platz für Abweichung von der Norm ist in Ihrem Leben? Zuwenig? Sie liegen falsch. Fast jeder kennt Situationen, in denen man etwas tut, was man für richtig hält, gleichzeitig jedoch zweifelt, ob dies „angemessen“, „passend“ oder vielleicht sogar „schädlich“ für Ruf und Karriere ist. Tatsächlich ist es aber so, dass die „Verrückten“ die Welt voranbringen.
Liebenswerte Eigenheiten, die anderen vielleicht nicht immer gefallen, haben einen großen Vorteil: Sie lassen einen recht schnell merken, wer ein Freund ist – und wer Sie nur als „funktionierendes Teilchen“ sehen will. Es ist sicherlich nichts Schlechtes daran, ein Leitbild zu haben. Aber spätestens, wenn ich mich dumm fühle, weil ich etwas tue, was sich eigentlich gut anfühlt, wenn alles in mir schreit: „mach es so“, diese Handlung aber gar nicht „zu einem wie mir passt“, sollten Sie sich fragen, wer hier entscheidet, was zu Ihnen passt.
Gottseidank hat Nigel Kennedy nicht aufgehört, Geige zu spielen, weil es nicht zu seinem „hippen Style“ passte. Hören Sie auf Ihre Bedürfnisse – und integrieren Sie sie. Streichen Sie Sätze, die mit „aber müsste ich nicht eigentlich…“ beginnen aus Ihrem Kopf. Sofort. Ersatzlos. Erkennen Sie die Vielschichtigkeit Ihrer Persönlichkeit und integrieren Sie jede Facette. Genießen Sie die überraschten Blicke, dass „einer wie Sie“ gerne Schmachtfetzen schaut und dabei weint. Oder dass Sie als Pastor ab und zu mit Ihren Motorradkumpels rocken gehen. Sie werden dadurch nur interessanter. Und glaubwürdiger. Und Sie werden deutlich mehr Freude an sich selbst haben. Engen Sie sich nicht selbst ein. Seien Sie verrückt. Leben Sie sich selbst. Sie werden es lieben.
Ein sauschönes Wochenende wünscht Dr. Phil
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Unser Kolumnist Dr. Phil ist auch bekannt als Autor Philipp S. Holstein und hat das Buch “Glücklich werden ohne Ratgeber. Ein Ratgeber” geschrieben.