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Phil-osophie am Freitag

Dr. Phil startet mit seiner Kolumne in das neue Jahr. Ab jetzt gibt es wieder jeden Freitag Phil-osophie am Freitag mit und von Dr.Phil. Los geht’s!

Heute ist Freitag. Das ist schonmal eine feine Sache!

Weniger fein erscheint es, so steht es zumindest in zahlreichen Zuschriften von Lesern, dass Januar ist. Dieser Monat sei „dunkel“, „blöd“ und „gemein“. Der Monat der nicht nur ausgesprochen lang und meistens irgendwie eklig ist, wartet mit all den Dingen auf, die vielen (zu Recht!) gar nicht gefallen. Versicherungsabbuchungen zum Beispiel. Oder der neuen GEZ-Zwangsabgabe. Ich persönlich finde am Januar am spannendsten, dass er im Grunde gar kein Monat ist, sondern ein Gefühl. Irgendwie so waberig, matschig und gar nicht heimelig. Dem Januar fehlt aber nicht nur das Licht. Dem Januar fehlt auch der Schatten. Und dadurch merkt man dann immer wieder, dass kein Licht da ist.
Große Dinge werfen ihre Schatten voraus? Nicht im Januar. Im Januar passieren Sie einfach. Und jedes Jahr warte ich auf die Schlagzeile: „Wissenschaftler haben es bewiesen: Der Mensch stammt vom Braunbären ab.“ Das würde zumindest deutlichst erklären, warum jedes Jahr um diese Zeit der starke Wunsch nach Winterschlaf in mir erwacht. Und das ist natürlich gerade dann besonders gemein, wenn man mit höchster Motivation und einem ganzen Bündel spannender Vorsätze ins neue Jahr gestartet ist. Wir rufen „Frohes neues Jahr“ und der Januar ruft scheinbar zurück: „Das wollen wir erst mal sehen!“ und gerne ergänzt er noch „Muharharhar“ (Böses Lachen).

Nehmen wir den Januar also als Einstiegshürde: Was bei exclusiven Clubs der Startbeitrag, bei Studentenverbindungen die Mensur und bei Urlaubsreisen der Stau auf dem Weg zum Flughafen ist, ist für ein Jahr der Januar. Blöde, aber da muss man durch. Wenn man ehrlich ist, hat es der Januar aber auch wirklich schwer. Der Januar fühlt sich vermutlich so, wie ein wunderschönes Haus, dass direkt an einer Autobahn gebaut wurde. Hätte Potential, ist durch die Umgebungskriterien aber völlig versaut. Obwohl er ja eigentlich auch eine Menge Vorteile bietet: Was fürs Konto eher schlecht ist, ist für Pläne und frisch Verliebte gar nicht so verkehrt: Ein langer Monat mit vielen Wochenenden!
Und vielleicht sind wir ja auch ein Stück weit selber Schuld daran, dass der Januar eigentlich chancenlos an den Start gegangen ist: Was ist nicht alles passiert im Dezember: Der Monat war unglaublich rasant, wenig Arbeitstage, viele Events, alles gipfelte in dem (zumindest in der Planung) grandiosen Startschuss für ein neues Jahr! Und tatsächlich denken aus irgendeinem Grund immer noch viele, der Jahreswechsel müsste irgendetwas bedeuten – warum das so sein könnte erkläre ich auch gleich. Soviel vorweg: Schuld ist eine Frau.

Wenn Sie wüssten, wieviele Trennungen zum Jahreswechsel passiert sind, wieviele Leute, ab „nächstes Jahr“ alles, oder zumindest ein bisschen was „ändern“ wollten. Und dann landet man – buchstäblich – im Matsch. Im Dezember lassen sich – auch schwerwiegende – Entscheidungen leicht fällen. Man hat soviel um die Ohren, dass eine Trennung schnell verwunden, oder eine wegweisende Entscheidung rasch verarbeitet scheint. Und dann tritt der Januar auf die Bremse. Zu der manchmal quälend scheinenden Langsamkeit dieses Monats, kommt noch seine triste und in besonders dieses Jahr in Schmuddeltönen gehaltene Eintönigkeit. Und dann sitzt man da, kurz nachdem das „Tageslicht“ sich gegen Mittag wieder zur Ruhe begeben hat und findet plötzlich ganz viel Raum für Gedanken. Und da Gedanken gerne mal die Farbe der Umgebung annehmen, ist es für emotional sensible Personen vor Allem eines: Ein Scheiß-Monat. Nun ist die Erkenntnis, warum etwas mistig erscheint, ja nur der erste Schritt zur Besserung! Was machen wir denn nun? Vielleicht ist einer Ihrer „guten Vorsätze“ für 2013 ja gewesen, etwas toleranter zu sein. Versuchen wir also, Verständnis für den Januar zu gewinnen. Da wir ihn nicht zu einem Gespräch einladen können, lohnt sich wie so oft ein Blick auf die Geschichte dieses Rabauken:

Und tatsächlich ist dieses seltsame Gefühl des „noch nicht ganz angekommen sein“ schon im Namen dieses Monats vorbestimmt: Januar entstammt dem lateinischen „Ianua“ und bedeutet „Tür“, „Zugang“ oder „Eingang“. Wir stehen also im Eingang eines neuen Jahres. Und wie so oft in Eingangsbereichen, haben wir die Jacke schon an und stehen in der halb geöffneten Tür. Eigentlich sind wir zu warm angezogen für drinnen und zu kalt für draußen. Abwechselnd weht uns aber entweder ein warmer Hauch von drinnen entgegen oder ein kalter Zug von außen nach. So ein Mist!
Interessanterweise ist die Benennung des Monats als „Ianuarius“ durch die Römer zu Ehren des zweigesichtigen Gottes „Ianus“, des „Herren des Anfangs und des Endes“ erfolgt. Dieser Ianus war ein Gott, der gleichzeitig nach hinten und vorne gucken konnte. Das hatte verschiedene Vorteile. Zum Beispiel entging ihm kein wohlgeformter Frauenkörper – und er musste sich nicht umdrehen, um bei Damen, die ihm entgegenkamen auch die Hinterseite zu begutachten. Und genau so hat dieser Janus auch seine Gemahlin gefunden: Ovid (ein römischer Dichter) beschreibt eine Begebenheit, in der Cardea, eine Nymphe, die dafür berühmt war, dass sie ihre Verehrer auf dem Weg zum in Aussicht gestellten Schäferstündchen auf engen Bergwegen vorweg marschieren ließ – und ihnen dann „hinterrücks“ weglief. Die armen Kerle, drehten sich irgendwann, um nachzusehen, ob die erhoffte Partnerin auch brav hinter ihnen marschierte und mussten ein ums andere mal feststellen, dass die Dame entfleucht war, als sie gerade nach vorn geschaut hatten. Wie ärgerlich! Sowas konnte Ianus aufgrund seiner in beide Richtungen schauenden Gesichter nicht passieren und so kam es zum Liebesakt. Spannenderweise übergab ihr Ianus zum Dank für ein wohl gelungenes Schäferstündchen die Herrschaft über Türschwellen und Schlösser! Deshalb lautet der lateinische Begriff für das Türscharnier wie? Cardo! Und weiter lautet es bei Ovid: „Sie hatte die Macht, geschlossenes zu öffnen und geöffnetes zu schließen“.

Und da wir ja alle wissen, dass es – entgegen anders lautender Behauptungen – meist die weiblichen Anteile einer Beziehung sind, die den Ton angeben, schwebt auch ein kräftiger Geist von Cardea in diesem Monat mit. Altes wird abgelegt und neues wird begonnen. Aber auch die weitere Entwicklung der Figur des Ianus in der Literatur – hin zu einer „Zweigesichtigen“ also zwiespältigen Persönlichkeit – findet sich in den Gefühlen wieder, die viele im Januar empfinden. Es ist einfach eine komische Suppe von Wollen und Nichtwollen; man ist schon im neuen Jahr, aber nicht so richtig. Vielleicht wäre es nicht so schlecht, sich der „Superkraft“ des Ianus zu bedienen und den Januar, diese Tür ins neue Jahr, tatsächlich zu benutzen, um – sozusagen auf der Schwelle zur Zukunft – mal gleichzeitig voran und zurück zu blicken.
Welcher Zeitpunkt wäre besser, als dieser, sich und seine Welt mal zu sortieren: Was soll mit rein – und was lass ich dieses Jahr draußen? Nicht besonders klug wäre es, aus dem Januar auf das Jahr zu schließen. „Es fängt schon blöde an“ zu sagen und sozusagen grimmig im Flur stehen zu bleiben. Wer jetzt nicht den dicken Wintermantel ablegt, wird fürchterlich beladen und schwitzend im wohlig warmen Wohnzimmer stehen. Also nutzen Sie doch den Moment, um Ihre eigenen Spielregeln für 2013 festzulegen: Planen Sie Meilensteine für die kommenden Monate, planen sie einen schönen Urlaub im kommenden Jahr und freuen Sie sich, dass der Monat mit den wenigsten Sonnenstunden schon fast hinter Ihnen liegt. Am Ende des Tages, Literaturgeschichte und römische Sagen hin oder her, ist der Januar schließlich auch nur ein Monat.
Der beißt nicht. Der will nur spielen.

Viel Spaß dabei und ein sauschönes Wochenende wünscht

Philipp S. Holstein

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Das Buch zur Kolumne, die Kolumne zum Buch
Glücklich werden ohne Ratgeber – Ein Ratgeber

Unser Kolumnist Dr. Phil ist auch bekannt als Autor Philipp S. Holstein und hat das Buch “Glücklich werden ohne Ratgeber. Ein Ratgeber” geschrieben.

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